Das Nähen

Ich habe eine erschreckende neue Leidenschaft entdeckt. Also, zumindest für mich war es erschreckend: Das Nähen. Und das kam so:

Meine Tochter hatte Geburtstag. Mitten im Sommer (oder das, was man hier so nennt). Und vor kurzem hat sie sich dazu entschieden, seit neuestem Harry Potter Fan zu sein. Weswegen sie sich auch ein Hogwarts- Outfit zum Geburtstag wünschte, also so eine englische Schuluniform.

Gut, ihre Mutter hat es tatsächlich mit der ihr eigenen perfekten Stilsicherheit geschafft, ihr ein solches Outfit aus, mehr oder weniger, “normalen” Kollektionen bekannter Labels zusammenzustellen. Aber den Clou, den hatten wir noch nicht und das war der Umhang. Viele Kostüm- und Kinderläden später hatten wir die Gewissheit, den auch nicht einfach so kaufen zu können. Herrgott noch mal, warum musste das Mädchen auch Fan des Zauberers werden, wenn der gerade keine Saison hat? Wie soll man denn da an Merchandise kommen? Unsere Sucherei wurde mir zu bunt und ich beschloss ins nächste Kaufhaus zu fahren, bei den Schnittmustern nach einem Umhang zu gucken, den nötigen Stoff mitzunehmen und das Teil dann zu Hause an der Nähmaschine (ein Geschenk, das sie zu selten benutzt hat) selbst zusammenzuklöppeln. Meine Güte, ein Umhang! Wie schwer könnte das schon sein?

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Die Anleitung der Nähmaschine war nicht mehr aufzufinden. Meine Beste wusste zwar och wie man den Faden einspinnt, mehr haben wir aber erstmal nicht herausbekommen. Ein bisschen googeln und schon hatte ich die Anleitung als PDF auf meinem Bildschirm. So ließ sich doch schon mal arbeiten. Ich habe mich also eine gute Stunde lang mit der Maschine und ihren sämtlichen Knöpfen und Hebeln und Rädchen auseinandergesetzt. Dann war ich bereit. Meinte ich. Ich nahm ein Stück Stoff zum Probieren, legte es unter die Nadel und trat das Pedal. Die Maschine nahm Fahrt auf. Brummte, summte, und klumpte. Nämlich den Faden an einer Stelle des Stoffes. Ich war ja auch zu doof: Natürlich würde ich das Stoffstück weiter schieben müssen, damit der Faden sich eben nicht an nur einer Stelle sammelte. Aber egal, was ich auch tat: Diesem Fadenklump-Problem war nicht beizukommen, die Nähte wurden alle krumm und schief und das auch nur, wenn sie überhaupt Nähte wurden. Das war nämlich nicht immer der Fall. Somit war klar: Irgendwas stimmt hier nicht.

Die Stunden verstrichen. Erst eine, dann zwei, dann drei. Immer noch hatte ich die gleichen Probleme und ich war langsam bereit aufzugeben. Es hatte keinen Sinn, es würde nicht funktionieren. Nähen ist eben doch diese geheime Wissenschaft, mit der man sich erst superlang beschäftigen muss, bevor man da mal was ordentlich gebacken kriegt. Und dann war er da. Dieser klassische Moment. Wo plötzlich Engelschöre lautstark in die Ohren “Halleluja!” singen , so dass man fast einen Tinnitus bekommt. Der Himmel reißt auf und die paar Sonnenstrahlen, die am Start sind, treffen nur auf einen selbst. Denn ich hatte folgenden Gedanken: “Was ist eigentlich mit diesem Hebel hier hinten?” Der Hebe setzte natürlich die Nadel bzw. den Schlitten um die Nadel auf den Stoff, fixierte diesen und sorgte auch dafür, dass die kleinen Rädchen unter dem Stoff diesen in einer gleichmäßigen Bewegung weiter transportierten. Plötzlich war alles klar, war alles logisch. Es war zwar super spät, aber jetzt hatte mich mein Ehrgeiz gepackt. Der Umhang wurde genäht. Mit Kragen und allem PiPaPo. Und seitdem , man verzeihe mir diesen zwar recht flachen, aber eben auch äußerst treffenden Wortwitz, hänge ich an der Nadel. Ich liege in meinem Bett und denke mir Schnittmuster aus. Ich begutachte Kleidungsstücke von mir genauestens, gucke mir die Nähte von Jute-Taschen an, liege gemütlich im Bett und google Schnittmuster. Und wenn mir was gefällt, dann probiere ich es eben aus. Ich war sogar schon in der Stoffabteilung vom Karstadt und habe mir Stoffe ausgesucht und gekauft. Die älteren Damen haben mich ein bisschen verstört angesehen. Als wenn ich in ihr Revier eindringen würde. Ich hatte schon ein bisschen Angst, im Vorrübergehen vielleicht die ein oder andere Stricknadel in den Rücken gerammt zu bekommen. Auch die Verkäuferin, die mir den Stoff ja von den Ballen schneiden musste, hat mich von oben bis unten gemustert und schräg angesehen. Ich sage euch: Das Näh- Business ist ein hartes Pflaster. Ich habe schon zwischen finsteren Gestalten in den übelsten Ecken irgendwelcher Grossstädte gestanden und mir überlegt, wie ich von dort wieder wegkommen würde (und vor allem: ob?), aber nirgends wehte ein so eisiger Wind, wie in einer Abteilung, in der Männer höchstens als Träger auftauchen. Ich hatte mich hier weit in ein unbekanntes Terrain vorgewagt. Ich muss jetzt aufpassen. So jemand wie ich, der ist hier nicht nur nicht erwünscht, sondern auch noch äußerst verdächtig.

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Eine berechtigte Frage ist natürlich: Wie konnte es überhaupt so weit kommen. Warum nähe ich jetzt so viel? Was hat das in mir ausgelöst? Nur dieses Aha-Erlebnis? Oder steckt da mehr dahinter? Ambitionierte Küchentischpsychologen (wobei ich ja der Meinung bin, gerade da Sprache ja etwas sehr lebendiges ist, dass man den Terminus doch mal so langsam eher auf “Coffeetable-Psychologe” umändern sollte. Denn das ist doch der Ort, im ironisch eingerichteten Wohnzimmer, wo heute die Laien-Analysen der Psyche des Freundes stattfinden und nicht mehr an diesem veralteten Bild einer Öko-WG, die erstmal die Ausgaben der Woche am Küchentisch beim veganen Essen ausdiskutieren muss, bevor sie anfangen, ihren Streit nicht als solchen zu führen, sondern den jeweils anderen total zu psychologisieren, indem sie ihm beispielsweise vorwerfen, ein Problem mit der Länge seines Penisses zu haben, weil er Sätze formulieren würde, die kein Ende fänden, was der beschuldigte zwar vehement von sich weisen wird und muss, was aber allgemein nur als Bestätigung der eigenen kruden These gelesen wird, was wiederum, um das hier einmal in aller Deutlichkeit abschließend zu klären, natürlich vollkommener Quastch ist, weil auch Freunde der Formulierung scheinbar nie enden wollender Sätze (vor allem in Klammern!), dennoch in den seltensten Fällen ein Problem mit ihrem Glied haben dürften.) werden an dieser Stelle eine frühkindliche Prägung vermuten. Was zwar stimmt, weil meine Mutter immer recht viel und gerne genäht hat, aber mich das natürlich noch lange nicht zum Nachahmen verleitet haben muss. Auch meine Schwester, eine ausgebildete Schneiderin, ist nicht der Grund für meine neu entdeckte Leidenschaft. Nein, die Begründing ist so doof, wie simpel, wie vorhersehbar:

Ich habe aufgehört zu rauchen.

Für mich auf alle Fälle ein “Big Deal”, weil ich am Tag so um die zwei Schachteln geraucht habe. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich nicht irgendwann wieder anfangen werde, aber im Moment bin ich es erstmal los. Dafür habe ich keinen Alan Carr gebraucht, keine Nikotinpflaster oder sonstiges Gedöns. Auch von dem Vorschlag, erst langsam zu reduzieren und dann aufzuhören, hab ich nichts gehalten, denn mal ehrlich: Wie soll man das denn schaffen? Zack, aufhören und gut ist. Klar, ich war die ersten zwei Wochen gut gereizt, einen Zustand, den ich von mir so gut wie gar nicht kenne, aber es ging. Zum Glück hatte ich die ersten Tage direkt so sinnvolle Aufgaben wie einen siebentürigen Ikea-Schrank aufzubauen. Das war ein guter Energie- Katalysator. Aber als der Schrank stand, da ging’s dann los. Ich brauchte eine andere Beschäftigung. Ich fing an, meinen Entzug aufzuschreiben, aber schreiben alleine ist kein toller Ersatz. Für nix. Dann fand ich plötzlich die Rettung: Pfefferminzbonbons. Weil man die lutscht und danach ein “anderes” Halsgefühl hat, ähnlich also zum Rauchen. Aber, das mag keine gesundheits-wissenschaftliche Sensation sein, dennoch möchte ich es noch mal aus meiner eigenen Erfahrung mitteilen: Eine ganze Packung Pfefferminzbonbons am Tag scheinen irgendwie nicht so gut zu tun. Schon allein verdauungstechnisch ist das nicht der wahre Jakob. Also musste ich mich auch schnell von dieser Ersatzbefriedigung entwöhnen. Und so hangelt man sich von Entwöhnung zu Entwöhnung.

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Mein Bruder hat mir, einen Monat nach meiner letzten Zigarette, auch noch ein super Geschenk gemacht: Ein microKorg, so ein kleines Keyboard, das ich auch als Midi-Keyboard für den Computer benutzen kann. Denn mit der ganzen Zeit, die ich plötzlich habe, um nicht zum Rauchen vor die Tür zu gehen, kann man ja durchaus was Konstruktives anstellen. Und da war die nahe liegendste Idee erstmal: Musik. Übrigens, das sei noch am Rande erwähnt, ist das auch relativ gerissen, einem so etwas nach einem Monat zu schenken, weil man das immer vor sich hat und ermahnt wird, nicht wieder anzufangen. Das funktioniert als zusätzliches Druckmittel ganz gut. Ich habe auch schon ein paar kleine Liedchen komponiert. Macht Spaß. Wirklich. Ist aber nicht Abendfüllend. Noch nicht.

Und da schließt sich der Kreis: Ich kann stundenlang in dem kleinen Gästezimmer sitzen und mich auf die Maschine und die Probleme konzentrieren, was passiert wenn ich was wie zusammennähe. Wo muss die Naht hin? Was ist innen und was ist außen? Und das allerbeste dabei: Bei den Sachen, die da rauskommen, freuen sich immer alle. Also, wenn die Sachen rauskommen, die rauskommen sollen. Die anderen kriegt keiner zu sehen. Die bleiben geheime Experimente von mir. Wie zum Beispiel den Kreis, den ich neulich genäht habe, der am Ende nicht mal rund war, sondern eher ein Oktagon oder so. Und das ist das coolste am nähen, warum ich das nur jedem Typen empfehlen kann, die Nähmaschine zu okkupieren: Wenn man es richtig macht und auch das falsch machen richtig macht: Dann fühlt man sich wie ein verrückter aber genialer Wissenschaftler. Har Har Har! Lebe, Oktagon, LEBE!

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