Plötzlich war es da, das rot-goldene Farbenspiel in den Straßen, der Herbst war in die Stadt gekommen und mit ihm 40.000 Galeristen, Künstler, Kunstsammler und alle, die sich sonst noch so zu dem Dunstkreis der Kunst zählen. Bereits zum 15. Mal pilgert diese illustre Gesellschaft nun zu den grauen Hallen des Messegeländes. An der Peripherie der Stadt, zwischen Autobahnzubringern, Busbahnhöfen und griechischen All You Can Eat – Imbissen versammelt sich der Kunstbetrieb, in dem wohl einzigen Gebäude weit und breit, dessen architektonischer Anspruch über den der reinen Funktionalität hinaus geht. In diesem Jahr wurden die jungen Galerien aus dem Sektor Fokus in die Hauptausstellung integriert und nicht wie in den letzten Jahren separat behandelt. Aber die wohl größte Neuerung stellte hingegen die Kooperation mit der abc art berlin contemporary dar.
Oft als kleiner Bruder des Art Forums missverstanden ist die abc genau eines nicht, und zwar eine klassische Kunstmesse. Mit einem Format, das zwischen Gallery Weekend und Ausstellung changiert, liegt ein großer Unterschied vor allem in der Themenbezogenheit der abc. Das mag zunächst einmal nicht verwundern, da die Initiatoren der abc auch die Gründer des jährlich stattfinden Gallery Weekends sind und damit bereits erheblich zur Berliner Kunst- und Kulturlandschaft beigetragen haben.
Das flexible Konzept der abc hat sich die letzten drei Jahre bewährt: jedes Jahr ein anderes Motto und ein anderer Ort. Durch diesen damit einhergehenden Prozess der Selbstreflexion gewährt die Ausstellung ein stetiges Anpassen an aktuelle Strömungen und Entwicklungen im Kunstbetrieb. Auch in diesem Jahr hat sie den Anspruch verfolgt, gegenwärtige Tendenzen im Kunstbetrieb nicht einfach nur abzubilden sondern zu hinterfragen und zu analysieren. Mit dem diesjährigen Thema light camera action lag der thematische Fokus auf dem Verhältnis zwischen Kunst und Film. Wie selbstverständlich wird das Medium Film in der zeitgenössischen Kunst verwendet, das Verhältnis zwischen Film und anderen Darstellungsformen kommt dabei in den meisten Fällen zu kurz. Der Film kann uns eine neue Perspektive auf unsere Umwelt gewähren, so zum Beispiel in Frank Stürmers Videoinstallation: In Untitled (Gondol) beobachtet man als Zuschauer das Geschehen eines Jahrmarkts von einem Riesenrad aus. Szenen, die zunächst belanglos und alltäglich wirken, offenbaren nur nach wenigen Sekunden der Beobachtung ihren Wert. Das vermeintlich banale wird einmalig und essentiell, die Riesenradfahrt zu einem ethnologischen Exkurs, der uns unsere Umwelt und die Menschen um uns herum näher bringt. Wo es Stürmer gelingt, uns durch das Medium Film, die Welt näher zu bringen, erinnert uns Julien Previeux mit ihrem Film Post-Post-Production an die Prozesse, die unsere Realität konstruieren. Die Masse an Informationen, die wir tagtäglich erhalten, ist zum großen Teil medial vermittelt. Wir beziehen unser Wissen über die Welt aus Fernsehen, Internet, Film und Fotografie. Der Prozess der Post-Post-Production offenbart die Manipulierbarkeit dieser Informationen und lässt uns an dem Gesehenen zweifeln. Daraus ergibt sich konsequenterweise ein Diskurs darüber, welche Ausstellungsformate zeitgenössische Kunst benötigt, damit sie in ihrer ganzen Komplexität rezipiert werden kann. Werden Skulpturen und Gemälde vor allem betrachtet, ist die Rezeption eines Filmes weitaus komplexer und benötigt in den meisten Fällen mehr Zeit und eine intensivere Beschäftigung mit dem Kunstwerk. Aus diesem Grund steht bei der abc das Werk des Künstlers im Vordergrund, nicht wie bei Messen sonst üblich die Galerien mit ihren zahlreichen Künstlern. Das Kunstwerk als Ganzes zu betrachten und nicht als einzelnes, aus dem Werk herausgelöstes Objekt, ist ein Anfang, um der Komplexität und Vielschichtigkeit der zeitgenössischen Kunst näher zu kommen. Die zeitgenössische Kunst benötigt diese Aufmerksamkeit und das Wissen über eine Bandbreite von Arbeiten, um verstanden zu werden. Das Ausstellungsformat der abc ist damit weitaus zukunftsweisender als die klassische Darstellungsform des Art Forums.
Antonia Märzhäuser