Cameron

Liebe Cameron,

Ich schreibe dir auf diesem Wege, weil ich deine Adresse nicht habe. Auch deine E-Mail-Adresse ist mir unbekannt. Nun könnte man mir vorwerfen, mich auch nicht von jedem x-beliebigen anderen Fan zu unterscheiden, der mit Chips vollgestopft vor seinem Rechner sitzt und sich über zärtliche Erektionen seinerseits freut, beim Betrachten irgendwelcher Bildschirmhintergründe mit Fotos aus deinen Tagen als Fotomodell. Aber natürlich ist es ganz anders. Ich begehre dich nicht als Fantasie, sondern nur den wahrhaftigen Teil von dir. Das lustige, kalifornische Mädchen, das surfen geht, während ich sämtliche Songs bei Guitar Hero freispiele, um dich beim Abendessen damit zu überraschen und du das dann auch entsprechend zu schätzen weißt.Ich beobachte deine innere Unruhe auf der Suche nach dem richtigen Partner und natürlich wirst du da nicht fündig bei irgendwelchen Boygroup-Sternchen und von Kollegen rate ich dir erst recht die Finger zu lassen. Was für eine Zukunft soll eine Beziehung zwischen zwei Schauspielern haben, von denen der eine ein mit Weltruhm gesegneter Star ist und der andere eher unter ferner liefen läuft. Du brauchst einen Mann auf Augenhöhe. Nicht physisch, sondern intellektuell. Nun, ich bin bei weitem kein Mann von Weltruhm, aber ich neide ihn dir nicht. Niemand hat ihn mehr verdient als du.
Freunde versuchen mich stets von dem irrsinnigen Gedanken abzubringen, eines Tages die Möglichkeit zu bekommen, dir persönlich zu vermitteln, wie wichtig ich für dich sein kann. Sie zeigen mir Bilder in Illustrierten, auf denen du ungeschminkt auf dem Weg aus dem Supermarkt zu sehen bist oder beim Joggen an der Pazifikküste. Aber sie begreifen nicht, dass mich deine Hautirritationen höchstens peripher tangieren. Ich sehe den wertvollen Menschen unter der aknegeschwängerten Wange. So sie es denn überhaupt ist. Was sind schon Pickel gegen wahre Liebe?
Du verkörperst auf wundervolle Weise all das, was ein vernünftiger Mann an einer Frau begeisternd finden kann. Du hast ein dreckiges Lachen, das man sich am liebsten als Dauerloop auf den iPod laden würde, du scheinst einem kühlen Bier nicht abgeneigt und vermutlich gehst du lieber mit einem Mann in einen Stripclub als in eine Dieter Dorn-Inszenierung.
Ich muss zugeben, und auch das muss mir als Mann an deiner Seite in spe erlaubt sein, dass ich mich zwar nicht in deine geschäftlichen Angelegenheiten einmischen will, aber deine Rollenauswahl in den letzten paar Jahren ein wenig zu wünschen übrig lässt. Keine Frage: Dein Spiel ist nach wie vor bezaubernd und inspirierend, aber die modernen Romanzen haben doch etwas überhand genommen, was du zwar durch deine Zusammenarbeit mit Ashton Kutcher wieder etwas austarieren konntest, aber eben nicht zur Gänze, da Kutcher durch seine Liaison mit Bruce Willis’ Exfrau selbst einiges an jugendlicher Glaubwürdigkeit eingebüsst hat. Was du brauchst, ist ein Film wie „Verrückt nach Mary“. Meinetwegen auch wie „Being John Malkovich“, aber einfach mal wieder etwas anderes als glattgebügelte Date Movies.
Aber das weißt du ja sicher selbst. Ich weiß, was die Mitleser meiner zarten Zeilen an dich nun denken werden: Der Bokelberg, denken sie, der will sich nur ins gemachte Nest setzen. Du bist im Moment eine der bestverdienenden Frauen der Welt, was sicher einen angenehmen Lebensstil ermöglicht, aber auch egaler nicht sein könnte. Was bedeutet Geld schon, wenn es ums Herz geht? Eben.
Ich könnte dich die ganze Zeit hochloben, aber sind Wiederholungen nicht langweilig? Wie schreibt man eigentlich solch einen Brief, oder besser gesagt: Schreibt noch irgendwer solche Briefe? Bei mir muss es wirklich Jahre her sein, dass ich einen richtigen Liebesbrief schrieb. Vielleicht habe ich sogar noch nie einen geschrieben und hielten wir uns an genaue Formalien, so ist streng genommen nicht mal dies hier ein solcher. Ein Liebesbrief als offener Brief? Natürlich, leicht zu durchschauen meine Hoffnung, dass dies als besonders romantisch wahrgenommen würde, aber ist es das denn überhaupt? Ein offener Brief, das hat auch immer so was offiziell-protestierendes. Wenn ich den Begriff „offener Brief“ höre, dann ist meine erste Assoziation ein Unterschenkel mit einer offenen Wunde, die gerade unter lautem Gejohle vom verdi-Gewerkschaftsführer bandagiert wird, weil „offene Briefe“ eben auch immer irgendwie so etwas von Protest haben. Ein offener Brief gegen Atommülltransporte. Ein offener Brief gegen die Ausbeutung von Ein-Euro-Jobbern. Ein offener Brief gegen Tierversuche. Ein offener Brief gegen Gegner der Homoehe. Das könnte man ewig so weiterführen. Immer gegen. Und wenn schon nicht gegen, dann aber wenigstens für etwas, von dem man weiß, dass ganz viele dagegen sind. Ein offener Brief für längere Öffnungszeiten in Bayern. Ein offener Brief für den Erhalt des Flughafens Tempelhof. Ein offener Brief für mehr Verständnis gegenüber Bankern. Offene Briefe sind immer Proteste. Aber meiner ist kein Protest!

Ich bin in einer Sackgasse. Nicht nur habe ich gerade meinen eigenen Brief mehr oder weniger als Luftnummer enttarnt, nein, ich habe sogar die Befürchtung, dass du gar nicht so weit gelesen hast. Denn sind wir mal ehrlich: Was sollten die bestverdienende Frau der Welt solche Sachen wie Gorleben, Hartz IV oder Tempelhof interessieren? Du weißt ja nicht mal, dass es das gibt. Ach, ich wünschte mir manchmal auch, nicht zu wissen, dass es das alles gibt. Ich schäme mich für die meisten Leute, die gegen etwas protestieren. Protest macht einen doof. Es ist, als wenn sofort alle Kleidung ihre Farbe verliert, sowie die eigene Haut, die Frisur plötzlich dämlich wird und man beim Sprechen automatisch Geifer vor den Mund kriegt, nur wenn man gegen etwas protestiert. Doch Vorsicht, liebe Cameron, denn Protest selbst ist schon sexy. Er wird halt nur immer von blassen Käsebrötchen organisiert, die sich im Vorbereiten ihrer Maßnahmen so sehr um die eigene Achse drehen, dass sie am Ende wie ein Duracellhäschen auf Crack wirken. Und dabei ist es egal, welcher Organisation man sich zuwendet: Sobald Protest organisiert wird, wird er so uncool wie runterfallende Marmeladenbrötchen.

Ich schreibe ehrlich gesagt nie Liebesbriefe. Warum? Nun, erstens habe ich eine ziemliche Sauklaue. Aber es gibt noch einen anderen, viel wichtigeren Grund: Ich lasse gerne Musik sprechen. Aber das letzte Mixtape, das ich aufnahm, ist auch schon lange her. Das Mädchen war nur ein paar Jahre jünger als ich, aber sie musste ihr Tapedeck von ihrem Vater reparieren lassen, um es überhaupt hören zu können. Ich glaube, da ist etwas in mir gestorben. So so, dachte ich wohl, junge Mädchen haben keine Kassettenabspielmöglichkeiten mehr heutzutage. Da muss ich mich also auch nicht mehr zweieinhalb Stunden vor die Anlage setzen, um den perfekten Mix zu kreieren, der der Frau alles sagen soll. Aber du bist ja ein paar klitzekleine Jährchen älter als ich, deswegen gehe ich davon aus, dass du noch im Besitz eines Tapedecks oder vielleicht sogar Walkmans bist. Oder? Oder? ODER?
Frauen wie du müssen einfach noch in der Lage sein, Kassetten zu hören. Du bist doch die Verkörperung eines Kassettenmädchens. Ich kann mir schon vorstellen, wie du den Mix hörst, den ich dann für dich gemacht habe, wenn ich weiß, dass du ihn hören kannst. Und da liegst du dann vor deiner Anlage und findest die meisten Songs ziemlich gut, manche etwas daneben und einige schlicht großartig. Und freust dich natürlich über die eingestreuten Songs, die du kennst (GANZ wichtiger Punkt bei der Philosophie des Mixtapes: Nicht zu sehr angeben, was man alles kennt. Geheimtipps gut dosieren. Hits einstreuen!). Und dann läufst du mit deinem Walkman die Straße hinunter. Und alle halten das für einen coolen, neuen Vintagetrend, wieder mit Kassettenwalkman rumzulaufen, und machen es dir nach und die Mixtape-Jungs sind wieder eine gefragte Spezies! Yay!

Cameron. Liebste. Für all diese verschmähten Jungs, die iTunes hässlich finden. Für all die graugesichtigen, traurigen Protestbriefschreiber. Für jeden Einsamen, der schon mal einen Ghostwriter einen Liebesbrief an seine heimliche Liebe schreiben ließ. Für all die Menschen, die vergessen haben um was es geht: Erhöre mich. Lass uns ihnen zeigen, dass es auch anders geht. Dass Liebe auch etwas Romantisches und dennoch Essentielles ist. 2009 wird unser Jahr! Lass uns die Liebe retten und Rosenstolz die Instrumente zerschlagen! Auf dass sie wieder in die Hände derer gelangt, die sie wirklich brauchen: du und ich.

Immer,
dein Nilz.

P.S.: Ich freue mich auf deine Antwort unter n.bokelberg[at]blank-magazin.de

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