Die RAF ist längst nur noch Mythos und beliebiges Beispiel- und Beweismaterial und die Protagonisten sind verschollen, gebrochen oder Pop-Inventar. Trotzdem bleiben Fragen, retten sich Wichtigkeiten in andere Zeiten. Ein paar Gedanken zum Thema Isolationshaft von unserem Autor Jan Off.
Weiter“Das Gefühl, es explodiert einem der Kopf. Das Gefühl, die Schädeldecke müsste eigentlich zerreißen, abplatzen. Das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepresst. Das Gefühl, die Zelle fährt.“ Diese Sätze stellen sicherlich das in Deutschland bekannteste Zitat zur so genannten Isolationshaft aus der Sicht eines Häftlings dar. Sie entstammen einem Brief Ulrike Meinhofs aus ihrer Zelle in Köln-Ossendorf.
Isolationshaft bezeichnet eine Form der Inhaftierung, die den Gefangenen weitestgehend von menschlicher Kommunikation abschneidet. Das beginnt bei der Unterbringung in einer Einzelzelle und dem Verbot der Teilnahme an den gefängnisüblichen Gemeinschaftsveranstaltungen, setzt sich über Einschränkungen im Briefverkehr und im Besuchsrechts fort und endet schließlich bei der Verhinderung der Sicht nach draußen und der Abschottung gegen Außengeräusche. Mit dieser sozialen Isolation gehen häufig Maßnahmen einher, die eine Einschränkung der sinnlichen Wahrnehmung zur Folge haben: beispielsweise Tag und Nacht brennendes Neonlicht, vollständig weiße Wände und eine entsprechend reizarme Inneneinrichtung, luftdichte Zellentüren. Dieses, sensorische Deprivation genannte Verfahren kann, so es über einen längeren Zeitraum zur Anwendung gelangt, zu vielfältigen Störungen im Denkablauf führen; die Palette reicht hier von Konzentrationsschwächen und Desorientierung bis hin zu Halluzinationen und Depressionserkrankungen. In Verbindung mit dem Entzug sozialer Kontakte ergibt das eine Mischung, die nicht selten körperliche Schäden nach sich zieht.
Wer nun darauf schließt, die vordergründige Absicht der „weißen Folter“, wie die eben beschriebenen Methoden von ihren Gegnern auch genannt werden, sei die physische Auslöschung von Häftlingen, irrt. In erster Linie geht es darum, den Gefangenen zu Geständnissen und einem vollständigen Abschwören seiner missliebigen Überzeugungen zu bewegen. Manchmal mag auch einfach nur übersteigertes Sicherheitsdenken hinter den Maßnahmen stecken. Stets werden bei ihrer Anwendung jedoch gesundheitliche Risiken in Kauf genommen, die im schlimmsten Fall lebensbedrohlichen Charakter annehmen können.
Dass psychische Stressfaktoren ebenso traumatisierend zu wirken vermögen wie körperliche Qualen, zeigt eine Untersuchung der University of London aus dem Jahr 2007. Befragt wurden knapp 280 Folteropfer aus den Kriegen des ehemaligen Jugoslawien, die eine lange Liste unterschiedlichster Foltermethoden mit einem Punktesystem zu bewerten hatten. Isolation war dabei eine der Maßnahmen, die als am stärksten belastend empfunden wurden. Sie erhielt im Durchschnitt 3,5 Punkte auf einer Skala von 0 – 4 (wobei die 4 für äußerst belastend stand). Damit wurde sie ebenso hoch bewertet wie beispielsweise die Körperstreckung oder das Aufhängen an Händen und Füßen.
Wirft man einen Blick auf die Geschichte des Gefängniswesens, stellt das mittelalterliche Einkerkern sicher die Frühform der Isolationshaft dar. Einen ersten theoretischen Background lieferten dann die um das Jahr 1820 herum in Amerika entstehenden Bußhäuser. Von Quäkern und Freidenkern als Alternative zur körperlichen Bestrafung befürwortet, wurde jeglicher Kontakt zwischen den dort Einsitzenden verhindert. Besuche erhielten sie ausschließlich von Geistlichen, die einzige Lektüre stellte die Bibel dar.
Erfahrungen mit kollaborierenden US-Soldaten während des Koreakriegs in den 1950 Jahren ließen in den westlichen Ländern den Verdacht aufkeimen, dass die Gegenseite Instrumentarien zur Gehirnwäsche besäße. Daraufhin setzte in den Vereinigten Staaten, später dann auch in Europa, eine massive Forschung zum Thema Isolation ein. Hierbei wurden neben der speziellen Situation von U-Bootbesatzungen und der von Astronauten auch die Folgen von Einschränkungen im Bereich der Sinneswahrnehmungen auf Einzelpersonen untersucht.
Inwieweit Ergebnisse dieser Forschungen später in die Strafvollzugssysteme der jeweiligen Länder Einzug hielten, ist bis heute strittig. Unstrittig ist, dass Isolationshaft und sensorische Deprivation nicht nur in totalitären Systemen zum Tragen kommen. Bekanntestes Beispiel hiefür ist sicher das US-Gefangenenlager Camp X-Ray in Guantanamo. Dunkle Brillen, die den Sichtkontakt verhindern, dicke Handschuhe, die den Tastsinn lahmlegen, ein Hörschutz für die Ohren – der Verdacht, dass hier mit Techniken der Sinnesvorenthaltungen gearbeitet wurde, lässt sich nur schwer von der Hand weisen. Aber auch in anderen demokratischen Ländern finden sich mehr oder minder starke Ansätze von Isolationshaft. Beispielhaft seien hier die Türkei und Spanien genannt, denen von der Gesellschaft für bedrohte Völker und Amnesty International wiederholt vorgeworfen wurde, Menschen ohne ausreichenden Kontakt zur Außenwelt in Haft zu halten.
Wer sich mit dem Thema in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland auseinandersetzt, stößt unweigerlich auf die Rote Armee Fraktion und ähnliche Organisationen, deren Mitglieder, so sie denn in Gefangenschaft gerieten, gleich einer ganzen Reihe von Sonderhaftbedingungen unterworfen waren. Nun liegt es in der Natur einer Gruppierung wie der RAF, eben diese Haftbedingungen propagandistisch auszunutzen, und so war schnell nicht nur von „Isolationsfolter“ sondern auch von „Vernichtungshaft“ die Rede. Wenn allerdings Verantwortliche für die damalige Situation der Inhaftierten, wie der ehemalige Justizminister Vogel heute davon sprechen, dass es Isolationshaft im Zusammenhang mit der RAF nie gegeben hätte, scheint auch diese Aussage nicht minder weit von der Realität entfernt. Zumindest den RAF-Mitgliedern Astrid Proll und Ulrike Meinhof müssen entsprechende Erfahrungen attestiert werden. Beide saßen in den Jahren 1971 – 73 nacheinander im so genannten „Toten Trakt“ der Vollzugsanstalt Köln-Ossendorf, die eine sechs, die andere neun Monate. Toter Trakt deshalb, da alle anderen Zellen des vom Hauptgebäude abgetrennten Hauses leer standen. Die Zelle selbst war komplett weiß gestrichen und verfügte über ein Fenster, das sich erst gar nicht, später nur einen Spaltbreit öffnen ließ. Das Neonlicht brannte rund um die Uhr. Als Astrid Proll, die im Juni 72 zwischenzeitlich in den Männertrakt der Anstalt verlegt worden war, beim Prozess gegen Horst Mahler aussagen sollte, wurde sie aus gesundheitlichen Gründen für verhandlungsunfähig erklärt, später dann wegen Haftunfähigkeit vorerst entlassen.
Nach der faktischen Auflösung der RAF und dem Ende der zum Teil mit äußerster Heftigkeit geführten Debatten um die Haftbedingungen der ersten und zweiten Generation ihrer Kader, scheint das Thema aus der öffentlichen Wahrnehmung weitestgehend verschwunden. Dabei spielt Isolation, wenn auch sicher nicht in der damaligen Ausprägung, nach wie vor eine Rolle im hiesigen Vollzugssystem. Nach einer Inspektionsreise durch verschiedene deutsche Haftanstalten im April 1996 kam das Anti-Folter-Komitee des Europarates zu dem Schluss, dass die bis zu mehreren Jahren dauernde Isolierung von Häftlingen „unter bestimmten Umständen“ eine „inhumane und entwürdigende Behandlung“ darstelle. Insbesondere in einem Gefängnis in Mecklenburg-Vorpommern würde die Isolationshaft nicht aus Sicherheitsgründen verhängt, sondern als Strafe. Neun Jahre später erhob dasselbe Komitee schwere Vorwürfe gegen die Untersuchungshaftanstalt Hamburg. Die dort einsitzenden Abschiebhäftlinge würden zu zweit oder allein 23 Stunden am Tag weggeschlossen, ohne dabei über Fernseher oder Lektüre zu verfügen. Im Jahr 2008 beklagte das Komitee für Bürgerrechte und Demokratie, dass auch viele andere Gefangene 23 Stunden am Tag vor sich hindämmern würden. Nebenher wurde die faktische Rechtlosigkeit der Häftlinge thematisiert. Selbst wenn die Insassen bessere Haftbedingungen einklagten, gäbe es „keine Möglichkeit, die Gerichtsbeschlüsse zum Beispiel mit Zwangsgeldern durchzusetzen.“ Dieses Mittel sei vom Gesetzgeber einfach nicht vorgesehen. Auch im Hier und Jetzt gilt also: Die Würde des Menschen ist antastbar.
Jan Off