Archive for August, 2009

Das Netz

„Fragmentierte Teilidentitätsdarstellung mit Ehrlichkeitsanspruch“, nennt sie das. Schon lange hat kein Mädchen mehr so was sexies zu mir gesagt. Ich bin sofort Feuer und Flamme. Aber der Reihe nach: Dieses Netz ist eine komische Angelegenheit. Das wird mir zwischendurch immer wieder bewusst. Nicht nur ein grandioser Zeitfresser (und ich weiß, was es bedeutet zu sagen, dass das Web Zeit frisst, ich habe hier gefühlte 3740 Probeversionen runterladbarer Suchbildspiele auf meinem Rechner…), sondern auch ein wunderbar weitläufiger Debattierclub (okay, auch Zeitfresser), ein ausführliches Informationsmedium (Oh! Zeit! Mjam, Mjam, Mjam) und ein Ort, an dem man nicht aufhören will zu glauben, seine nächste Herzensangelegenheit zu finden.

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ST. PAULI ABSCHALTEN!
FUSSBALL NACH ENTENHAUSEN AUSLAGERN!

St_Pauli

Zum Start der neuen Bundesliga-Saison hat sich unser Autor Jan Off mal ein paar sehr persönliche Gedanken zum Thema Fußballfans, Fanatiker und Vollidioten gemacht.

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Gerade habe ich mir eine englische Punkband angesehen, die ich längst im Siechenhaus vermutet hatte. Nun sitze ich in der letzten U-Bahn und lasse die beeindruckende Fitness der greisen Musikanten noch einmal Revue passieren. Ich habe ein paar Anstandsbiere intus und darf sicher einen leichten Schwips mein Eigen nennen, aber ich bin weder aggressiv noch sonst wie auf Kontakt zu meiner Umwelt aus. Ich will einfach nur entspannt nach Hause geschaukelt werden, um dort noch ein, zwei Runden Online-Poker zu spielen und dieser Kiste Holsten Edel zuleibe zu rücken, die im Flur auf mich wartet.

So weit, so gottgefällig, bis an der Haltestelle Feldstraße plötzlich eine Gestalt in meinen Waggon steigt, die meine kontemplative Stimmung schlagartig Geschichte werden lässt. Auf den ersten Blick mag es sich bei dem bieder gekleideten Jüngling mit der schmächtigen Statur um einen harmlosen Zeitgenossen handeln, vielleicht um einen Studenten der Geisteswissenschaften. Aber nachdem er mir schräg gegenüber Platz genommen hat, verrät mir genaueres Hinsehen, dass ich es hier mit einem brandgefährlichen Eiferer zu tun habe. Der Bengel trägt doch allen Ernstes eine Wollmütze mit Hannover-96-Emblem. In Hamburg! An einem spielfreien Wochentag… Lupenreiner Hass flutet meinen Gefühlshaushalt. Und mit einem Mal macht sich auch der genossene Alkohol bemerkbar: Eine derartige Provokation kann ich unmöglich dulden! Ich muss die Mütze in meinen Besitz bringen und gleich hier in der U-Bahn zu Konfetti verarbeiten, besser noch: sie in Brand setzen und die Flammen anschließend mit einem Schwall meines Mageninhalts löschen.

Warum ich das tun muss? Ganz einfach: Ich bin in Braunschweig aufgewachsen. Und wie die meisten, deren Herz für den Braunschweiger Turn- und Sportverein schlägt, hat man mich Zeit meines Lebens gelehrt, alles, was auch nur ansatzweise mit der Zahl 96 zusammenhängt, abgrundtief zu verachten – so wie sie in der Leine-Metropole beigebracht bekommen, die Farbkombination Blau und Gelb für den Auswurf des Bösen zu halten. Woher diese gegenseitige Abscheu rührt, hat mir bisher niemand erklären können. Sämtliche Recherchen in Braunschweiger Fankreisen ergaben durchgängig simple Antworten, die mir empfahlen, in dieser Sache bloß nicht weiter nachzufragen. Hannover, oder Hanoi, wie sie in Braunschweig sagen, sei nun mal die Seuchenstadt schlechthin und gehöre am besten niedergebrannt. Punkt! Soll heißen: Die Feindschaft wird als genauso gottgegeben hingenommen wie die zwischen den Anhängern von Frankfurt und Offenbach, Dresden und Leipzig oder Karlsruhe und Stuttgart (um nur ein paar der bundesweit bekanntesten Fehden zu nennen), wobei sich das Ausleben des Hasses nicht nur auf Ereignisse, Orte oder Menschen beschränkt, die tatsächlich einen Bezug zum Fußball aufweisen.

Ein Freund aus alten Tagen, der irgendwann beruflich in Hannover zu tun hatte, bekam schon in der ersten Woche nach Arbeitsantritt den Motorroller mit Scheiß-BTSV- und Es-lebe-96-Parolen zerkratzt. Als er dann später in die Landeshauptstadt umgesiedelt war und sich entsprechende Nummernschilder für den unterdessen angeschafften PKW besorgt hatte, wurde demselben während eines Braunschweigbesuchs wiederum die Luft aus den Reifen gelassen.

Selbst der Umstand, dass die beiden Mannschaften aufgrund ihrer unterschiedlichen Ligenzugehörigkeit schon seit Jahren kein offizielles Spiel mehr gegeneinander bestritten haben, hat den gelebten Irrsinn bisher nicht minimieren können. Wie auch?! Wer in dem konsequenten Wahn dahinvegetiert, die Anhängerschaft eines anderen Vereins besäße den Status krankmachenden Ungeziefers, findet natürlich immer Gelegenheiten, diesem Imitat einer Weltanschauung tatkräftig Ausdruck zu verleihen.

So geht zum Beispiel ein Überfall auf die Hannoveraner Fankneipe Nordkurve im Februar 2009 mit hoher Wahrscheinlichkeit aufs Braunschweiger Konto. Circa 20 bis 30 Vermummte stürmen unter Schlägen und Tritten den Gastraum, in dem gerade die Auswärtspartie Gladbach – Hannover übertragen wird, bewerfen die Anwesenden – darunter nicht wenige Familien – mit Flaschen und Gläsern, treten Tische um und schleudern Stühle durch den Raum. Die Mitglieder einer zahlenmäßig vergleichbaren Gruppe Jugendlicher, die kurz darauf in Tatortnähe von der Polizei kontrolliert wird, kommen zum größten Teil aus…? Richtig: aus Braunschweig, dem sympathischen Joker an der Oker (Eigenwerbung)! Angeblich wollten sie sich ein Hockeyspiel ansehen.

So weit, so pubertär. Dass aber auch vermeintlich denkende Mitbürger gegen den volksgemeinschaftlichen Abwehrreflex nicht gefeit sind, den die Verteidigung der „eigenen“ Vereinsfarben nun einmal darstellt, zeigt sich nur einen Monat später anlässlich des in Hamburg ausgetragenen Spiels St. Pauli – Rostock. Während in den gängigen Internetforen selbst „linke“ Hansa-Fans ankündigen, dem in seiner Gesamtheit ja ebenfalls als links geltenden St.-Pauli-Anhang ordentlich auf die Fresse geben zu wollen, werden rund ums Millerntor zahlreiche Hauswände mit Slogans à la 06.03. – alle gegen HRO! besprüht.

Obwohl auf Rostocker Seite dazu aufgefordert worden war, im Notfall auch ohne Eintrittskarte nach Hamburg zu fahren, bleibt das von vielen erwartete Schreckensszenario von der 3000-köpfigen Horde, die während des Spiels marodierend über die Reeperbahn zieht, zwar aus; aber auch so gibt es, insbesondere nach Ende der Partie, ausreichend Momente, in denen sich die geschürte Aggression Bahn bricht. Der dabei an den Tag gelegte Wille, der Gegenseite körperliche Schäden zuzufügen, macht es schwer, sich des Eindrucks zu erwehren, hier würden zwei verfeindete Religionsgemeinschaften aufeinander treffen. Erst werden die abziehenden Hansafans mit einem Hagel aus Flaschen und Pyrotechnik eingedeckt, der nur den Schluss zulässt, die Angreifer könnten mit hundertprozentiger Sicherheit davon ausgehen, es bei jedem ihrer Gegner mit einem ausgewiesenen Nazi-Hool zu tun zu haben. Danach wird sich mit den Sicherheitsorganen eine Straßenschlacht geliefert, die zwar bei weitem nicht an die Auseinandersetzungen vom 01. Mai des letzten Jahres in Barmbek heranreicht, aber dennoch alles übersteigt, was ich danach in Hamburg erleben durfte. Und das ausschließlich im Namen eines Fußballvereins!

Warum ich an dieser Stelle nicht auf das unsägliche Verhalten der Rostocker eingehe, insbesondere auf die von dieser Seite aus gestarteten Übergriffe während des Hinspiels? Einfach deshalb, weil der FC St. Pauli gemeinhin als Verein gilt, dem sich überdurchschnittlich viele Menschen mit einer, nennen wir es mal: „diffus progressiven“ Lebenseinstellung verbunden fühlen. Damit stellt der Klub in Sachen Fankultur zweifellos die Spitze eines dampfenden Misthaufens dar, der sich wie folgt auf den Punkt bringen lässt: Da wo vor Jahren im Normalfall ein politisches Bewusstsein vorhanden war, wabert heute oft nur noch ein Fußballfähnchen durchs ansonsten luftleere Hirn. Selbst Peter Hein, seines Zeichens Sänger der einstmals als textlich gehaltvoll gehandelten Band Fehlfarben, fällt auf die Frage, ob es nicht irgendwas gäbe, auf das er positiv Bezug nehmen könne, nichts weiter ein als: „Äh, ja … der FC ’ne.“ (Wobei es nun wahrlich egal ist, um welchen FC es sich hier überhaupt handelt.)

Nichts gegen den Sport als solchen. Und auch nichts gegen das leidenschaftliche Mitfiebern mit dieser oder jener Mannschaft. Wer aber meint, es sei schon eine relevante Meinungsäußerung, im beispielsweise schwarzen Kapuzenjöppchen mit Totenkopf-Aufdruck durch die Gegend zu traben, der geht vielleicht besser mal Sandburgen bauen. Und wer sich – gemeinsam mit seinen Fanclub-Kameraden – lieber an imaginären Feinden abarbeitet, als die gesellschaftlichen Widersprüche auf die Straße zu tragen, der kann ja genau diese Sandburgen dann mit seinem Schäufelchen vor den anderen Kindern oder streunenden Hunden beschützen.

Diesem Gedankengang folgend, entschließe ich mich, einmal das Neue zu wagen, und biete dem 96er vor mir eins meiner beiden mitgeführten Fahrtbiere an. Und siehe da, er nimmt es nicht nur an, sondern erweist sich auch sonst als durch und durch sympathischer Zeitgenosse. Dass wir uns dann später wegen des in der U-Bahn geltenden Rauchverbots in die Haare kriegen, ist eine andere Geschichte.

Jan Off

Blank Fashion – PT. 1

Martin Bauendahl

Photographie: Martin Bauendahl (bauendahl.com) Styling: Sascha Gaugel Hair-Makeup: Helge Henry Branscheidt Model: Janna Nedderhut c/o Mega model agency Retouch: deluxeplus.de

Modefotografie ist zuweilen eine sehr spezielle Angelegenheit. Wir lichten den Dschungel. Diesmal mit Martin Bauendahl, der 1970 in Köln geboren wurde und heute in Hamburg und Paris lebt. Seine Fotos konnte man bereits in Magazinen wie Style & The Family Tunes, Lowdon, Tush oder Vogue sehen. Man könnte durchaus behaupten, dass er zur Zeit ein angesagter Fotograf ist.

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