Jan Off über einen Abend mit den Luschen Klotzek und Ebert
Wenn die beiden Chefredakteure des Zentralorgans für Berufsjugendliche, kurz Neon genannt, einen Ratgeber auf den Buchmarkt schmeißen, der der „Generation der Krisenkinder“ (Spiegel Online) den Weg durch den Dschungel des Erwachsenwerdens weisen möchte, ist das in etwa so beeindruckend wie der Schiss einer Möwe auf einem kilometerlangen Stück Strand. Es gibt genügend andere Stellen, an denen du dein Handtuch ausbreiten kannst.
Ärgerlich wird es erst, wenn eben dieser Ratgeber öffentlich präsentiert wird, und ich da hingeschickt werde. Aber das Blank zahlt nicht nur Spitzenlöhne, sondern lässt seinen Mitarbeitern auch noch regelmäßig kostenlose Botox-Behandlungen angedeihen. Also heißt es, die Zähne tapfer zusammenzubeißen und ins Hamburger Knust vorzustoßen – eine Spelunke, die trotz ihrer langen Tradition als Hort des Lasters und der Ausschweifungen mittlerweile als Nichtraucher-Tempel daherkommt.
Hier wollen Michael Ebert und Timm Klotzek, so die Namen der beiden Verfasser, gemeinsam mit Bestsellerautorin und Ex-VIVA-Lautsprecher Sarah Kuttner, die von der Hamburger Morgenpost im Vorfeld mal eben zur „Identifikationsfigur“ der Zwanzig- bis Fünfunddreißigjährigen hochstilisiert wird, der Frage nachgehen, die ihrem Werk den Titel geliehen hat: „Planen oder treiben lassen?“ Wobei sich als erstes der Gedanke aufdrängt, was denn hier, wenn überhaupt, treiben gelassen werden soll: Ein Stück Holz? Eine Flaschenpost? Ein verendeter Katzenhai? Ein kurzer Zusatz auf dem Cover wäre in dieser Hinsicht gewiss hilfreich gewesen.
Immerhin: Das Knust ist an diesem Abend gut besucht. Kurz bevor die Chose startet, müssen gar zusätzliche Sitzgelegenheiten herangeschafft werden. Heiße Luft verkauft sich eben immer noch am besten. Ich sehe mich um und sogleich einige meiner Vorurteile bezüglich der Neon-Leserschaft bestätigt. Zum größten Teil biedere Klamotten mit einem Hauch von Lässigkeit und – ganz wichtig – einem oder zwei hervorstechenden Details, deren Unstimmigkeit im Verhältnis zum Rest der Kledage Nonkonformismus und Esprit signalisieren soll. Der Altersdurchschnitt entspricht dem der Zielgruppe. Es sind allerdings auch ein paar Mittvierziger eingerückt. Richtig wohl scheinen sie sich unter den vielen Backfischen nicht zu fühlen: „Ey, was machst du denn hier?“ „Muss ja mal gucken, was auf meine Tochter so zukommt, ’ne.“
Ich frage meine Sitznachbarin nach dem Grund ihres Besuchs, will wissen, ob sie wegen des prominenten Gastes oder der in Aussicht gestellten Lebenshilfe gekommen sei. „Ach, eigentlich wegen beidem. Weißt du, ich bin selber in der Medienbranche, da ist das schon irgendwie ’n Pflichttermin.“ Aha!
Nach halbwegs akzeptabler Wartezeit dann der Auftritt der beiden Buchautoren, respektive Chefredakteure, respektive Gastgeber, respektive Moderatoren des Abends. Sarah ist offenbar noch im Backstagebereich zugange. Trotz dreier bereitgestellter Ohrensessel hat man sich dazu entschieden, die Zeit bis zum Eintreffen des Gastes im Stehen zu verbringen. Timm, der sich etwas näher am Bühnenrand positioniert hat, ergreift das Wort und monologisiert eine Weile herum. „Unsere Generation“, sagt er, womit er sich und das Publikum meint, was insofern irritiert, als Timm selber so seriös und abgeklärt aussieht, wie jemand, der sich gedanklich bereits den Ruhestand ausmalt. „Keiner ist schlechter oder besser“, sagt er, und: „Keiner ist vollständig Planer oder Treibenlasser“ – womit die aufgeworfene Frage des Buchtitels gleich mal hinfällig geworden ist. Michael studiert derweil seine Moderationskärtchen und übt sich in verschiedenen hilflosen Gesichtsausdrücken. Ich bin mit dem mir bis dahin unbekannten Wort „Treiberlasser“ beschäftigt, überlege, ob es dabei um jemanden geht, der sich Wild vor die Flinte treiben lässt, und bekomme deshalb nicht mit, wie es Timm gelingt zum Thema „Fußball“ überzuleiten. Macht ja nüscht, Fußball kommt immer an. Na, meistens jedenfalls. „Sind wir nicht alle Fußballtorhüter?“ Sechs Leute kichern – offenbar wild entschlossen, sich (zur Not durch Selbsthypnose) für das Eintrittsgeld soviel wie möglich zurückzuholen –, der Rest schweigt betreten in sich hinein.
Das Elend findet erst ein Ende, als Fräulein Kuttner hereingebeten wird. Schon während der Begrüßung zeigt sich: Sarah redet nicht nur gern und viel, sie ist vor allem in der Lage, ein Publikum zu bedienen. Jetzt darf auch endlich gesessen werden: die Herren links, die Dame rechts außen. Und nachdem am Wasser, am Wein oder an der Apfelschorle genippt worden ist, schlägt die große Stunde von Michael. Zum ersten Mal darf er das Wort ergreifen. Entsprechend enthusiastisch fällt sein Beitrag aus. Sarah sei, teilt er uns mit, nicht mehr und nicht weniger als das „Versuchskaninchen dieser Generation“. Eine Generation, die sich hauptsächlich dadurch auszuzeichnen scheint, dass sie den Begriff „Generation“ geradezu inflationär gebraucht.
Nun könnte es eigentlich losgehen, aber erst muss noch etwas durchgesagt werden: Wer eine Frage an Sarah habe, der möge dieselbe unter Zuhilfenahme der Bleistifte und Zettel formulieren, die gleich verteilt werden würden. Am Ende des Abends werde der Stargast dann Rede und Antwort stehen. So weit, so Kindergeburtstag. Michael versucht einen Witz, den selbst das großherzige Frollein Kuttner nicht anders als beleidigend empfinden kann, schämt sich kurz dafür, nur um dieses lästige Gefühl gleich darauf wieder über Bord zu schmeißen. Als Bühnenhengst und Moderator darf man schließlich beleidigen soviel man will.
Und dann endlich doch noch der Startschuss: „Planen oder treiben lassen – live und in Farbe im Knust“. Chapter one: „Der Job“. Michael liest einen kurzen Experten-Schwank zum Thema, nur um gleich darauf mit folgendem Fazit aufzuwarten: „Wer nicht weiß, was er mal machen will, soll sich locker machen!“ Im Anschluss ist Sarah gefordert, sich zum Gesagten zu äußern. Aber sie kann oder will nicht, verbreitet lieber eigene Weisheiten. Zum Beispiel die, dass Fernsehen scheiße sei, und Internet natürlich auch, im Speziellen Myspace und Facebook und wie die nervigen Seiten alle heißen. Dabei spricht sie ein bisschen wie Charlotte Roche, also so niedlich und mädchenhaft. Um dann endlich auch mal das Wort „Generation“ in den Mund nehmen zu dürfen, erzählt Sarah, dass sie sich den von der Presse seit Jahr und Tag mit ihrer Person in Verbindung gebrachten Begriff „Leitfigur ihrer Generation“ der Einfachheit halber selbst ausgedacht habe. Die Buben neben ihr scheint das alles nicht sonderlich zu interessieren. Sie kippeln mit ihren Sesseln und blättern gelangweilt in den Moderationskärtchen. Ein Dialog kommt nicht zustande.
Vielleicht ja beim nächsten Thema, der Liebe – dazu sollte doch jeder etwas zu sagen haben. Erst einmal wird allerdings wieder aus dem Buch zitiert, denn um das, besser: um dessen Verkauf geht es ja schließlich. Diesmal dreht sich das Kurzreferat um vier sogenannte „Apokalyptische Reiter“, mit denen früher oder später angeblich jede Beziehung zu kämpfen habe. Danach wird es tatsächlich kurzfristig spannend, als Sarah das Konzept der zeitlich befristeten Ehe aufs Tapet bringt. Leider entwickelt sich auch hieraus kein echtes Gespräch. Wäre ja auch zu schön gewesen. Stattdessen wird Michael wieder unverschämt, der offenbar immer noch seinen schweigenden Part vom Beginn des Abends kompensieren muss. Mit konkretem Bezug zu Sarahs Lebengefährten entlässt er seinem Sprachbullauge folgende Frage: „Woran merkst du, dass du glücklich liiert bist?“ Darauf weiß dann selbst Fräulein Kuttner einmal nicht in Hochgeschwindigkeit zu antworten. Was Binsenweisheiten zum Thema „Kennenlernen“ betrifft, ist sie allerdings wieder ganz auf der Höhe. „Du sollst die Liebe nicht suchen“, sagt sie, und: „als Promi hat man’s deutlich schwerer.“ Wenn sie über Sex redet, sagt sie „Poppen“, von sich selbst spricht sie gern als „die Kuttner“. Obwohl noch nicht mal eine halbe Stunde verstrichen ist, schwindet mir merklich die Konzentration. Und dem Publikum geht es nicht anders. Als Timm, dessen Aufmerksamkeit ebenfalls schon gelitten hat, wissen will, welche Bezeichnungen diese „Apokalyptischen Reiter“ noch mal im Einzelnen trügen, die da jeder Beziehung usw., ruft ihm jemand die Namen der Protagonisten aus Dürers gleichnamigen Holzschnitt zu. Kurzfristige Konfusion auf der Bühne, also schnell zum dritten Thema, der „Freundschaft“ übergeleitet. Wieder wird Expertenwissen verlesen, wieder wird mit Zetteln und Kärtchen hantiert, die dann auch gern mal zu Boden fallen. Ich drifte derweil in einen seligen Dämmerzustand, aus dem ich erst wieder zurückkehre, als Sarah die Moderatoren mit der Frage brüskiert, welchen Begriff sie in Bezug auf weibliche Unterwäsche bevorzugen würden: Slip oder Schlüpfer? Sarah selbst sagt „Schlüpper“. Die Herren Chefredakteure schweigen sich eisern aus.
Chapter four, „Die eigenen Eltern“, nervt vor allem mit endlosen privaten Details aus Sarahs Kindheit und Jugendzeit. Die wenigen Höhepunkte: Sarah sagt „eingepullert“ statt „eingepisst“, Timm fragt „wie sind wir denn zeitlich“, Michael hätte gern noch „’nen Weißwein“. Von mir aus könnten sie da oben das Zwanzigfache an Alkohol in sich hineinschütten, dann käme vielleicht ein bisschen Schwung auf und mit ein wenig Glück würden auch noch diese unsäglichen Karten verschwinden, die den vorformulierten Fragen Platz bieten. Aber dieser Gedanke bleibt natürlich das, was er von vornherein war: ein frommer Wunsch, mehr nicht. Stattdessen zwingt das tranige Gefasel von Ebert und Klotzeck Mademoiselle Kuttner auch im fünften Teil der Talkrunde zu Plattitüden der Marke „jedes Alter hat seinen Reiz“.
Als dann endlich, nach gefühlten vierundzwanzig Stunden, die erlösenden Abschiedsfloskeln und Dankesworte erklingen, wollen mir vor Wonne fast die Tränen kommen. Der Applaus entspricht in seiner Kürze dem, den ein Vortrag Hugh Hefners in einer Koranschule ernten würde. Mir kann das nur recht sein; ich habe bereits die dringend herbeigesehnte Kippe zwischen den Lippen. Aber Halt!, da ist ja noch die angekündigte Interaktion zwischen Stargast und Publikum. Als sich herausstellt, dass vergessen worden ist, die dafür vorgesehenen Kärtchen zu verteilen, sieht es einen Moment lang so aus, als ob der Allmächtige Erbarmen mit mir hätte, dann wird auf der Bühne zu meinem Entsetzen entschieden, dass die Fragen auch verbal gestellt werden dürfen. Erst will niemand, dann sondert der erste, der das bedrückende Schweigen im Saal nicht länger erträgt, irgendeine Belanglosigkeit ab. Nach Sarahs ausführlicher Antwort, schweigt wieder alles, bis dann der Nächste Mitleid in sich verspürt und die Stimme erhebt. Und so geht es weiter und weiter, während ich mich mit der Frage beschäftige, warum nicht wenigstens einer der Anwesenden aufsteht und die neun Euro zurückverlangt, die er für diesen Nonsens abgedrückt hat. Vielleicht, weil ausschließlich Mitglieder der Generation „ich lass mir alles gefallen“ die Sitzreihen bevölkern. Als Sarah irgendwann darüber referiert, wie wichtig es sei, die Umwelt zu erhalten, beschließe ich, dass es genug ist, dass es nun wahrlich bis an mein Lebensende reicht mit diesem Austausch von Gemeinplätzen. Das Blank kann zahlen was es will, ich bin erster Linie meiner geistigen Gesundheit verpflichtet.
Kaum, dass ich mich erhoben habe, schließt sich mir meine Sitznachbarin an. Draußen frage ich sie, ob es ihr gefallen hätte. Sie habe lange nicht mehr so viel Lebenszeit vergeudet, lautet die Antwort. Kein Wunder, wenn man sich von halbgaren Heilsversprechungen zu einer derartigen Veranstaltung treiben lässt. Bleibt nur zu hoffen, dass die dilettierenden Herren Ebert und Klotzek in Zukunft mit ein paar Abonnenten weniger planen müssen.