Von fabrikfrischen und verrosteten Nägeln im Fleisch der parlamentarischen Demokratie. Ein paar Gedanken zur Piratenpartei von Jan Off.
WeiterIm Januar 2010 heißt es, sich beim Bioschlachter und im Naturkostladen auf leere Regale einzustellen, feiern doch in eben diesem Monat Die Grünen ihr dreißigjähriges Bestehen. Wenn man sich das vergleichsweise gesittete Äußere ihrer aktuellen Vertreter vor Augen hält, will an den wilden Stil-Mix, den die Partei während ihrer Entstehungsphase nach außen transportierte, so gut wie gar nichts mehr erinnern. Ein BEDAUERNSWERTER Umstand, denn was waren das doch immer für erquickende Bilder von all diesen Aufbau- und Gründungstreffen: der strickende Vollbart mit Fusselmähne neben dem hageren Pastor im lederflickenbewehrten Cord-Jackett; dahinter ein barfüßiger Wünschelrutengänger Seit an Seit mit dem weißhäuptigen Träger eines Lodenjankers, den die Liebe zu Natur UND Vaterland in die Arme der Umweltbewegung getrieben hatte. Entsprechend bunt war der Pool der politischen Ansichten, wobei konservative Einstellungen durchaus eine größere Rolle spielten, als das im Nachhinein zu vermuten wäre. Beispielhaft sei hier an Herbert Gruhl erinnert, der neun Jahre lang für die CDU im Bundestag saß, bevor er sich für die Europawahl 1979 gemeinsam mit Petra Kelly als Spitzenkandidat des Grünen-Vorläufers Sonstige Politische Vereinigungen Die Grünen aufstellen ließ. Von seinen inner- wie außerparteilichen Gegnern regelmäßig als „Ökofaschist“ gebrandmarkt, verließ Gruhl Die Grünen alsbald wieder, um im Jahre des Herrn 1982 die ÖDP mitzubegründen, die dann unter seiner Führung auch gleich mal einen eher bedenklichen Kurs einschlug.
Derart krude Figuren geistern bei den ehemaligen Ökopaxen heute höchstens noch auf kommunaler Ebene herum. Aber für wunderliches, insbesondere rechtes Gelichter findet sich immer ein Reservat, in dem es für seine bizarren Gedankengebäude mehr als ein Paar offene Ohren findet. Im Moment ist das ganz unzweifelhaft die Piratenpartei, deren Mitgliedszahlen nach dem Entschluss, zum ersten Mal an einer Bundestagswahl teilzunehmen, rapide in die Höhe geschnellt sind. Naturgemäß zieht ein politischer Zusammenschluss, der seine erste Aufgabe in der Verteidigung digitaler Bürgerrechte sieht, neben den üblichen Computer-Nerds auch allerlei Verschwörungstheoretiker und sonstige Paranoiker an. Dass vor kurzem mit Bodo Thiesen allerdings eine Figur, die den Holocaust relativiert und Deutschlands Urheberschaft am 2. Weltkrieg leugnet, sogar ein Parteiamt abgreifen konnte, wenn auch ein vergleichsweise unbedeutendes, erinnert dann doch wieder an die Anfänge der Grünen, also an den fehlenden Überblick angesichts der schieren Masse enthusiastischer Aktivisten, beziehungsweise an das Fehlen klarer Richtlinien, wohin das Pendel denn nun genau ausschlagen möge.
Mittlerweile ist Bodo Thiesen seines Amtes als Ersatzmitglied des Bundesschiedsgerichts nicht nur wieder enthoben, ihm droht zusätzlich ein Ausschlussverfahren. Und so bleibt zu hoffen, dass die Partei, der er – Inschallah – bald nicht mehr angehören wird, sich in Zukunft endlich dem widmet, was ihr Name verspricht: Nämlich Lobbyarbeit für diejenigen, die sich ihren Teil vom Kuchen unter Zuhilfenahme von Schnellbooten und Schusswaffen abholen – für die somalischen Piraten also.
Nicht, dass mich hier jemand falsch versteht: Ich bin weder ein Freund von Freiheitsberaubung und Scheinhinrichtungen, noch möchte ich das Leid der entführten Besatzungen in Abrede stellen. Aber im Kino einen Säbelschwingenden Johnny Depp abzufeiern oder den eigenen Nachwuchs mit modischen Totenkopf-Emblemen auszustaffieren, um dann hernach die real existierende Seeräuberei als eine Ausgeburt des abgrundtief Bösen zu betrachten, während große Teile eines kompletten Kontinents in Agonie versinken, stellt eine Bigotterie dar, die nur schwer zu ertragen ist. Wenn also irgendwann die ersten gefangenen Piraten von der Fregatte Bremen in den Hamburger Hafen gebracht werden, dann will ich wenigstens die Mitglieder der Piratenpartei an den Landungsbrücken sehen. Natürlich mit Entermessern zwischen den Zähnen – und sei es nur dem Gebot der sportlichen Fairness zuliebe.
Jan Off