Teresa Bücker und ihre vorerst letzten Gedanken zum Themenkomplex „Weiblichkeit und Wahlen“
„Dann haben wir Sex. Mit Geräten. Mit Komplexen. Mit Angst, Angst, Angst. Wir suchen Partner, finden keinen. Werden schwanger. Oder nicht. Haben Angst, weil wir nicht schwanger werden oder doch, und dann kommt das Kind, wir kennen es nicht, wir pflanzen es in einen Blumentopf.“ Sibylle Berg: Der Mann schläft.
Vor dem Kanzleramt blüht nur ein einsames Gänseblümchen auf dem adrett gemähten Rasen. Die unkrautüberwucherten Fragen, die der von Sibylle Berg formulierte Auszug aus dem Leben junger Frauen aufwirft, schlagen hier keine Wurzeln. „Do you know, what it feels like in this world, for a girl?“ – In diesem Wahlkampf? Nach dieser Wahl im September 2009? Auf dem Balkon des Kanzleramtes blickt eine Frau im Blazer gedankenverloren in die Luft. Fragezeichen kullern aus den glanzlosen Augen von Sabine Christiansen und Stefan Aust irgendwo in einem erleuchtet blauen Studio. Es ist Ihre Wahl. Und dort, dort ist der nächste Blumenkübel.
„Do you know, what it feels like in this world, for a girl?“ Sabine Christiansen weiß es vermutlich genauso wenig wie Angela Merkel. Realpolitik und Polittalk der Best Ager-Damen haben wenig Bezug zur Realität von anderen Frauen und besonders den jungen. Mit der sanften Moderation des Politischen überlassen sie die Wortschlacht und Taten oftmals den Männern, in deren Seilschaft es sich lebt wie das Zicklein an der Zitze, lässt man den Böcken ihren Lauf. Während die CDU-Vorsitzende wenigstens einmal im Jahr zum Girls’ Day kurz ihren Draht zu einigen eingeschulten Mädchen pflegt, frisiert Talk-Dame Christiansen zusammen mit dem Mann, der das Frisurenwunder Merkels vor vier Sommern bewirkte, verzogene Rassekläffer. Der Blick auf die Welt außerhalb des Salons verschleiert diesem interessanten Girls’ Club die vom Boden gefegten Bobtailfransen.
Susanne Klinger stellte ganz richtig fest: „Im Wahlkampf 2009 ist die Frage, ob eine Frau Kanzlerin sein kann, einfach nur lächerlich.“ Christdemokratische Mädchen kommen überall hin. Sogar an die politische Spitze der Republik. Ein apricotfarbener Blazer und pfirsichfarbene Bäckchen sind vier Jahre nach der Kanzlerinnenkrönung dem zartpinken Blazer der Staatsmännin gewichen. Auf Wahlplakaten muss er lila sein. Das wirkt entschlossener. Oder endlich bei den Lesben. Fortgesetzt wird hier die Farbklecksstrategie für offizielle Führungsriegenfotografie, die den vor den Bildschirmen weggedämmerten, wankenden Wählern kurz einen weiteren Tupfer Entzückung ins Hirn klopft: Sie ist etwas Besonderes, unsere Angela. Mal rosa, mal ostdeutsch, mal Dubyas Darling. Immer Faszinosum. Immerwährendes Symbol für die unerschöpflichen Weiten des deutschen Traums.
Wir Mädchen hatten uns das niemals träumen lassen, als Kohls Mädchen herself noch gar nicht von Kanzlerschaft träumte. Das, was heute in Form der Empfehlung des Hauses als Traum deutscher Frauen den Damen serviert wird. Wir hatten schließlich gedacht, wir dürften spätestens dann auch einfach mal Frau sein; wenn eine von uns anstatt des Rocks die Hosen anziehen würde.
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Heute ziehe ich mir am allerliebsten ein Kleid über den Kopf. Die Zeit vor der Schulreife verweigerte ich mich dem wallenden Gewand. Baumhäuser erklimmen, über Schneeschanzen springen, Pferde zähmen – dafür musste die Hose sitzen. Doch zur Einschulung ziemte sich zur Schultüte auch das passende Kleid. Gedanklich in Hosen, tatsächlich im Kleidchen, öffnete sich mit dem Fall der Mauer für mich die Tür der ersten Klasse. Dreizehn weitere Schulbänke würden folgen, die mich schlecht möglichst auf die Idee einer Studien- und Berufswahl bringen würden. Zweifelsfrei stand einzig fest, dass ich in der aufgeklärten Welt westfälischer Einöde als Mädchen alles werden konnte; mit Mal sogar Messdiener der katholischen Gemeinde. Emanzipiert noch vor der ersten Brustknospe, da Papa gerne die Kochschürze trug – und obwohl seine Frau vor Mutterglück schäumend das Beobachten meines Wachstums einer frühen Rückkehr in den Beruf vorzug. Für all die niedlichen Erstklässlerinnen blühte das Amt der Kanzlerin wie selbstverständlich auf dem Schulweg. Zur Linken und zur Rechten wartete es als Mauerblümchen mit strammen Schultern darauf, gepflückt zu werden. Mein Pony zäumte ich jedoch mit Scheuklappen und zockelte nach Erhalt eines Fetzen Papiers, der notdürftige Reife, Bildung und tiefe Traurigkeit über eine vertane Jugend unter dem löchrigen Dach des deutschen Schulsystems bescheinigte, durch die Mitte gen wilden Osten. Sieben Sachen im Kanzleramt würden für kein Mädchen, keine Frau, mehr bedeuten als ein wildes Kreisen auf der Stelle, bis der Schwindel sie vergessen lassen würde, dass mit dem Abwurf des Rocks und dem Arsch im Hosenanzug nur ein Hauch mehr als ein Nichts getan sein würde.
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Temperamentvollere Röcke mit politischem Gehalt sucht man heute im Regierungsviertel, auf Hinterbänken und parlamentarischen Abenden vergeblich. Hier regiert der Bleistiftrock in kargen Betontönen. Eine Definition von Weiblichkeit, die für etwas anderes steht als Verführung, Glatteis und Mutterschaft existiert im Politischen nicht. Selbst eine Kanzlerin hat nach vier Jahren Führung den Faktor Frau in keinster Weise politisch interessant machen können. Ein frauenpolitisches Engagement hätte Angela Merkels einzig wahrhaft weibliches Attribut sein können, doch dies zu erwägen trippelte nie in Nähe ihres Verstandes vorbei. Lieber nahm sie es schläfrig zur Kenntnis, dass sie erst über Einsatz ihres Körpers als Wesen von Weiblichkeit wahrgenommen wurde. Darf eine Kanzlerin Brüste haben?
Im inhaltsarm vor sich hin plätschernden Wahlkampf sind der Einsatz von Kurven (Vera Lengsfeld, CDU) und die blonde Mähne einer jungen Frau (Manuela Schwesig, SPD) die einzig verlässliche Strategie ein Stück vom Kuchen der Aufmerksamkeit abzubekommen. Sogar das männliche Nesthäkchen des Kabinetts sonnt sich in seiner von Boulevardberichten herbeischwadronierten Attraktivität, die wie ein listiges Advertorial für Pomadeproduzenten wirken. Die Glanzleistungen seines Haupthaars sind ein Präzedenzfall für die politische Berichterstattung. Dass bei einem Minister die ihm zugedachte Aufmerksamkeit zu großen Teilen auf dessen Äußeren und dem Grad seiner Anziehungskraft auf das eine oder andere Geschlecht fußt, ist neu und so wenig selbstverständlich. Dem gegenüber steht die Selbstverständlichkeit, wie dieser charmant gemeinte Überfluss das äußere Erscheinungsbild zu besprechen, zu einem Politikerinnenportrait gehört.
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Fanshirts an die Röcke wird die Politik nicht mehr verkaufen, ganz gleich, ob modisch begeisterte Wahlberechtigte sich nach dem Auszug aus der Krise wieder ein paar Stiefel mehr leisten können werden. Die Herzen von Frauenpolitik, Männerpolitik, Familienpolitik und Maßregelung der Jugend gehören nicht in die zittrigen Hände des Staats. Der Feminismus schon lange nicht mehr in die Hände Schwarzers. Der Emma-Chefin, die zwar viel für den Stand der Emanzipation heute bewirkte, es aber gleichsam schaffte, dass dieser nicht vielstimmig ist und der Begriff des Feminismus oftmals mit einer alternden, keifenden Furie gleichgesetzt wird, kann man Ähnliches vorwerfen, wie oftmals für die Politikverdrossenheit der Bürger herangezogen wird. Sie hat sich von der Lebensrealität der Frauen entfernt, ein Machterhaltungstrieb hat Dialoginteresse verdrängt und alle werden sie fetter, gelangweilter und egozentrischer. Doch ein Vorwurf ist an dieser Stelle das Instrument, das die Wunden nicht flickt. Kritik an konservativer Familienpolitik, das Proklamieren von Lohnunterschieden und der Wunsch nach mehr oder anderer Führung durch Frauen fällt bei Politik und im Tunnelblick agierenden Feminismus in keinen fruchtbaren Schoß. Da wünscht man sich derzeit eher Comedian Oliver Pocher als Sprachrohr des Feminismus: er nahm die abgelegte Schmuckdesignerin (eine Berufsbezeichnung, die von Society-Reportern immer an der Stelle eingepflegt wird, wenn eine Liebhaberin eines Prominenten weder Bildung, Berufung noch Intellekt aufweist) eines zum Schürzenjäger ergrauten Tennisstars unter seine Fittiche, wandelte ihren dummen, zwanghaften Wunsch, weiterhin prominent zu vögeln, für die Presse in gewitzte Ironie um, als er sie sagen ließ, über die zuvor von ihm über sie gemachten Scherze könne sie lachen. Atemlos verhalf er der anorektischen Kindsfrau im ersten Monat des jungen Verhältnisses zum Babybauch. Tapfer, dass Pocher die Bürde auf sich nahm, Sandy Meyer-Wölden den einzig ihr offen stehenden Weg zu ebnen, der sie zu einer Frau machen könnte. Sie ist kein zu belächelndes Anhängsel mehr.
Wo prominente Mitbürger es zahlreich schaffen, sich selbst und die wechselnden Partner als eigenständige Personen zu etablieren, fügt sich das Zusammenspiel von Mann und Frau auf den roten Läufern der Politik stets zu einem schiefen Bild. Was soll diese Frau an Frank Walter Steinmeiers Seite, mit der er obamaesk in das Fanvolk winkt? Wenn ein Kandidat keine Marke wird, kann dies dann für seine Gattin bewerkstelligt werden, die verglichen mit der Vogue-Tauglichkeit einer Michelle Obama noch nicht einmal für Landlust oder die Brigitte interessant genug wäre? Was verrät uns das Gespann Merkel-Sauer, das zwar gegenseitigen Respekt vermuten lässt, aber auch den Gedanken anregt, dass sich der Mann neben einer maximal erfolgreichen Frau in seiner Haut nicht ganz wohl fühlt. SPD-Senior Müntefering hat das Charisma der Macht genutzt, um das einzig frisch wirkende Element im Wahlkampf der Sozialdemokraten an seiner Seite zu wissen, doch das Lächeln seiner Gespielin im Enkelinnenalter verrät, wer hier der wahre Profiteur ist. Und am Ende der Reihe sahnt der feierfröhliche Regent der Hauptstadt die Punkte im Paarlauf ab. Ausgerechnet Klaus Wowereit und sein Partner oder auch Moderatorin Anne Will und die Frau an ihrer Seite wirken bei öffentlichen Auftritten wie ein geschlossenes Paar, da ein aufgesetztes Rollenspiel verworfen wurde.
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Und dann würde ich gerne Anne Will Angela Merkel fragen hören, warum ihr und ihrer Partnerin keine Adoption zugestanden würde. Und dann höre ich die BILD lachen, da auf das Konto der Zeitung mehr geborene Babys gehen, als auf die Familientherapie der Ursula von der Leyen. Und dann höre ich mich seufzen, da ich für Frauen die politische und gesellschaftliche Stimme nicht sehe. Und dann knickt der Spross des Fragezeichens im Blumentopf ein, da den jungen Frauen, denen die Popkultur vertraute, das Hirn, der Lektor und der Mut fehlte.
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Frauenpolitik bedeutet derzeit, dass die Lenkerin des Staates einen Blazer, und kein Jackett trägt, und dass Großplakate der Regierung ein Bild von glucksenden Kleinkindern und neuen Vätern zeichnen. Vor meiner Haustür gibt es diese Väter tatsächlich. Doch sie sind nicht Ursula von der Leyens Idee eines kinderreichen Staates gefolgt, sondern ihrem Herzen und Kinderwunsch. Ganz wie die Frauen an ihrer Seite. Mein Kindheitstraum von der Kinderlosigkeit scheint mir neuerdings wie eine sehr schlechte Idee. Eine schlechtere Idee ist eigentlich nur, meine Fruchtbarkeit als politische Herausforderung einzuordnen. In den Kästchen der Regierung, die einen Ministerposten für politische Bäuche schuf, fehlt auf meinem Wahlzettel das Kreuz.
Das einzig Weibliche an meiner Wahlentscheidung ist die pinke Tinte, mit der ich die Striche ziehe.