Benedict Wells

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Bücher haben bei vielen meiner Freunde den Ruf, langweilig und einschläfernd zu sein. Umständliche Sätze, endlose Beschreibungen anstatt fesselnder Geschichten. Das muss verflucht noch mal nicht sein! Ein Ansatzpunkt. Durch den Bezug zum Autor oder die Hintergründe, warum dieser oder jener Roman geschrieben wurde, kann Verborgenes sichtbar und ein Buch zu mehr als einem Buch werden. Kinderleicht. Mir geht es jedenfalls so. Hier der Versuch, einen Roman für dich lebendig zu machen. „BECKS LETZTER SOMMER“

„Ich habe den Roman in einer Wohnung, ohne Heizung und mit Klo auf dem Gang geschrieben.“ Ich traf mich an einem Sonntag um achtzehn Uhr im Münchner „Schummans“ mit dem jüngsten Autor des Diogenes Verlag. Natürlich hatte ich sein Portrait auf dem Buchrücken beim Lesen der 455 Seiten nicht nur einmal angesehen, aber trotzdem hätte ich ihn nicht erkannt. Wie auch, seine Haare waren auf einmal, zwar nicht ganz geschoren, aber doch sehr kurz rasiert. Zurückhaltend kam er herein. „Hier war ich noch nie. Ich mag Schicki-Micki nicht so“, sagte er mit großen Augen, was ihn für mich bereits äußerst sympathisch machte. Abgesehen von der nun zu Ende gegangenen fünfjährigen Flucht nach Berlin, lebt der ehemalige Internatsschüler nun zum ersten Mal richtig in München. Jetzt durfte es auch wieder die Landeshauptstadt sein, denn die ersten zwei Auflagen seines Debütromans waren in Windeseile ausverkauft und somit vorbei die Zeiten, in denen er gezwungen war, die Gemeinschaftstoiletten zu benutzen.

„Joey Goebel ist ein großartiger Schrifsteller“ Anders, als von sich zu reden, begann er noch vor der Rotweinbestellung, einen Kollegen zu loben. Benedict findet, dass dieser Goebel ein besseres Debüt hingelegt hat als er. Der junge Wells selbst schrieb zwei Jahre an „Becks letzter Sonmer“. Wie lange wird dann wohl „Vincent“ vom ersten Tastenklicken bis zur Fertigstellung gedauert haben? „Mir haben hier in München die Kontakte gefehlt, ich war ja immer auf dem Internat. Münchner Freunde hatte ich deshalb kaum welche.“ Als ich ihn vorschnell zum Außenseiter schubladisieren wollte, erklärte er mir: „Auf den Internaten war ich eigentlich der Typ, der immer sehr viele Freunde hatte. Ich habe den Abiturstreich moderiert und solche Sachen. Ich habe ja auch zwei Jahre bei „Menschen bei Maischberger“ gearbeitet und war im Fussballverein in Berlin und so. Es war eher so, dass mich das Schreiben einsam gemacht hat, es war aber eine bewusste Enstcheidung. Ich bin nicht auf der Suche nach Freunden. Ich habe tolle Freunde, nur musste ich für das Schreiben eben ein Stück Geselligkeit aufgeben, das ich früher hatte und jetzt wieder aufgreifen kann.“ Angesprochen auf die Lobeshymnen der Zeitungen und Magazine: „Naja, was sich ein bisschen verändert hat, ist natürlich die Sache mit den Frauen. Ich habe geschrieben, oder ich schreibe natürlich auch für Frauen, ich liebe Frauen und eigentlich schreibt doch jeder Schriftsteller nur für sie.“

Benedict Wells wollte früher immer eine Mischung aus Nick Hornby und John Irving werden.

„Diogenes war immer mein Lieblingsverlag.“ Was sich wie eine Dankbarkeitsgeste gegenüber dem Haus, das ihn veröffentlichte, anhörte, wurde mit unzähligen Geschichten über Bücher, die er früher so gerne gelesen hatte, untermauert. Dann schwärmte er von der, auch in meinen Augen, ausgezeichneten Buchhandlung „Lehmkuhl“ in der Leopoldstrasse und schmückte aus, wie aufgeregt und stolz er gewesen sei, als dort seine Münchner Lesung stattfand.

„Ich bin Schriftsteller.“ Nicht nur einmal hatte der junge Ben, wie er gerne gerufen wird und auch Emails unterschreibt, seine Freunde mit Ideen, Seiten, sämtlich dem Plan, Schrifsteller zu werden, genervt. Ermüdend war für ihn die lange Zeitspanne, die sein Buch bis zur Veröffentlichung brauchte und viele in seinem Umfeld hatten auch nicht mehr an seinen literarischen Werdegang geglaubt. Kein Wunder, „Becks letztes Jahr“, so der Arbeitstitel des Werkes, umfasste in seiner ersten Version knapp 1500 Seiten, da Wells vorab das gesamte Leben seiner Protagonisten niederschreiben musste, um das Gefühl für den besonderen Sommer, „Becks letzten Sommer“, gewinnen zu können.

„Ich mag Beck.“ Zum Inhalt: „Becks letzter Sommer“ ist eine Geschichte über Individualismus und persönliche Freiheit. Auf Deutsch, es geht um Chancen und zwar ungenutzte, genutzte und zukünftige. Der junge, unehrgeizige Lehrer Robert Beck hat sich in seiner Lebensplanung ein wenig verheddert und versucht, sich durch die Liebe, durch Freundschaft und durch seine Musikleidenschaft freizukämpfen. Agiert oder reagiert er nur? „Beim Schreiben habe ich oft an Christian Ulmen gedacht, der wäre perfekt, falls das Buch irgendwann einmal verfilmt wird.“ An diesem Abend klingelte nicht nur einmal das Telefon und sein Agent informierte ihn über ein neues, höheres Angebot für die Filmrechte.

Einige der besten Zeilen des Buchs: Dann sprach Beck davon, dass er gar nicht älter geworden sei, sondern nur unbeweglicher und ängstlicher. // Er hat den Vorfall einfach weggetrunken, dachte er. // Sie lachte wie eine besoffene Courtney Love, also einfach nur Courtney Love. // Vor lauter Geilheit auf Trinkgeld grinsten sie pausenlos. // Er rettete sich in eine Zigarette und sah dem Rauch zu, als wäre es das Wichtigste der Welt. // Er war nicht mehr der Michael Douglas aus Wall Street, er war nur noch irgendeine gewöhnliche Arschgeige an einem heißen Julitag in München. // Es sind Gespräche wie diese, die das Leben als lieblosen Unfug enttarnen, dachte Beck. // Andys gutes Aussehen öffnete Türen, die sein Charakter wieder schloss. // Wie er eingezogen wird, kämpft, verliert, überlebt, seinen Kopf mit grausamen Bildern auflädt, die ihn für den Rest seines Lebens lähmen werden. // Nun, die gute Nachricht ist: Ja, es geht vorbei, sagte er schließlich. Und die schlechte: Alles andere auch. // Dafür sprechen sie gut Deutsch. Tue ich nicht. Wir unterhalten uns gerade in Englisch. // Mir fehlt immer etwas. Wenn ich alleine bin, fehlt mir was, wenn ich mit jemandem zusammen bin, fehlt mir auch was. Da ist immer eine Leere in mir. Die anderen Menschen sehen so glücklich aus, alles wirkt bei Ihnen so leicht. // Wer gedankenbegabt ist, ist auch gedankengefährdet?

„Ich bin wirklich gedankengefährdet.“ Ben schläft jede Nacht mit Hörbüchern oder Inforadio ein. Er mag den Klang von Stimmen und läßt sich liebend gerne Geschichten erzählen, weil er sonst die ganze Nacht im Bett liegt, wach bleibt, nachdenkt oder an Kapiteln feilt.

Was ist seine Lieblingsstelle im Buch? Der Tod von Becks Vater. Anfangs hat Beck ein sehr distanziertes Verhältnis zu ihm, aber eines Nachts träumt er den Herztod seines Vaters nach und fühlt auf einmal mit ihm mit.

Benedict Wells, also Ben, ist, so wie ich ihn über zwölf Stunden kennenlernen durfte, nicht so jung, wie er aussieht. In seinem Kopf existiert ein genauer Plan und er macht sich auch nichts aus Hindernissen. Schreiben befreit ihn, gehört zu ihm und man nimmt diesem Menschen das wirklich gerne ab.

Becks letzter Sommer ist eine Reise. Eine Reise durch Erinnerungen, Vorstellungen über das Leben und die Realität. Das Buch ist witzig, spannend, skurril, melancholisch und ergreifend, oder schlicht: ein Buch über das Mitgefühl.

Sein nächstes Buch „Spinner“, das im Herbst erscheint, wird von einer verrückten Woche in Berlin handeln, in der ein Zwanzigjähriger langsam die Kontrolle über sein Leben verliert.

In seiner gestrigen Email stand noch folgendes: „Wehe du schreibst etwas über meine derzeitige Frisur!!!!! Gruß eines Uncoolen.“

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