Foll Lustik

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Die deutsche Sprache brachte der Welt wunderbare Kunst: Die Lyrik Goethes, die Prosa von Grass oder die Wortmacht von Polt.

Die Autoren Manuel Grebing und Stephan Scheler brachten der Welt immerhin schon zwei Ausgaben von „Cumshots“, zwei wunderbaren Dokumentationen der Absurditäten der Sexfilmchenindustrie. Im Sommer 2012 haben beide ihre Kompetenzen vereinigt. Das Ergebnis heißt „Lolst du noch oder roflst du schon“ und ist eine überaus komische, gleichermaßen schonungslose, womöglich erschreckende und hoffentlich nicht repräsentative Bestandsaufnahme des Deutschen im 21. Jahrhundert.

Und auch, wenn die dokumentarische Wissenschaft Kategorien wie „erschreckend“ nicht kennt, dürfte den Autoren bei ihrer Arbeit das Lachen manches mal gefroren sein. Der Gegenstand ihrer Beobachtungen war nämlich noch weit absurder, bizarrer und schlüpfriger als die Recherche im Pornomilieu: Ihr neues Buch präsentiert die Welt der Youtube-Kommentare. Ein Binnenkosmos von Kurzprosa, zusammengekürzter, meinungsstarker Diskursraum und obskurer Plattheiten zwischen Fäkalausfällen und Nazivergleichen unter dem Deckmantel der Anonymität. Oder wie der geneigte Youtube-User es wohl sagen würde: ROFLMAO, ihr Noobs!

„Lolst du noch oder roflst du schon“ könnte man ohne weiteres als ein kleines, unterhaltsames Büchlein durchwinken. Denn das Milieu, in das die Autoren hinab gestiegen sind, wimmelt von absurd komischen, weil überheblichen und mitteilsamen Dummköpfen, die andere User zurechtweisen. Rechtschreibung und Grammatik haben hier unten keine Befugnisse mehr. Das sieht dann so aus: „Was ist das für ein phychiopat“, „scheiss gymnasier“, „jaja das opfa hat gestan kasiet“, „was für eine HOLE nuss“ oder „die hat wohl nur 1 iq“. Je stärker der Grad der Empörung, je größer die Überzeugung der User, auf der richtigen Seite zu stehen, desto größer ist der Lesespaß. In kleinen Dosen wohlgemerkt, denn die Schmerzgrenze ist spätestens dann erreicht, wenn man sich vom amüsierten Dauerkopfschütteln eine Nackenzerrung geholt hat.

„Lolst du noch oder roflst du schon“ ist eine Dokumentation des Grauens und dabei brüllend komisch. Dabei befriedigt sie eigentlich „nur“ die gleichen Instinkte, wie das Ansehen von Scripted Reality-Sendungen: „Die da unten und wir hier oben“ oder einfach „das kann doch nicht wahr sein“. Denn inhaltlich haben die allerwenigsten Kommentare so etwas wie Witz oder gar Geist zu bieten. Und deshalb soll das Buch auch mehr sein als der kleine komponierte Klamauk. Die Autoren haben den Titel um die Unterzeile „Die Feränderung der deutschen Sprache“ ergänzt und weisen im Vorwort halb ironisch, halb ernst darauf hin, dass ihre Arbeit „Pflichtlektüre für alle Germanistikstudenten und Deutschlehrer“ sei. Und damit haben sie natürlich – vollkommen unironisch – völlig Recht, denn die deutsche Sprache kennt nicht nur zwei Lautverschiebungen und eine jüngere Rechtschreibreform, sondern muss sich auch mit ihrer Pervertierung oder Mutation in Zeiten des Internets, von Smartphones und damit einhergehender Mikrokommunikation plagen.

Goethe wäre mit dieser Youtube-Ausgabe des Deutschen genauso unmöglich gewesen wie der Faschisten-Agitator Goebbels. Denn was reimt sich schon auf „geowned“ oder „Hässlon“ und wie will man einen Epic Fail wie den Zweiten Weltkrieg entfesseln und später rechtfertigen, wenn einem nur Vokabeln wie „Fratzenfasching“, „Daumenbettler“ und „Geilomatiko“ zur Verfügung stehen?

Scheler und Grebing haben deshalb nicht nur jedem der acht thematisch geordneten Kapitel eine kommentierende Einleitung voran gestellt, sondern auch ein Vorwort verfasst, durch das sich wohl nur die wenigsten der vorgestellten Anonymen Youtuber arbeiten dürften. „Lolst du noch oder roflst du schon“ ist aber natürlich Unterhaltung pur. So gemeint, so konzipiert und vor allem auch genau so in der Wirkung. Es ist aber allemal das Verdienst der Autoren, dass sie ihr Werk durchaus auch als Fleißbeitrag in den Diskurs rund um den aktuellen Zustand der Sprache der Dichter und Denker einbringen. Und wo die Frage nach „gutem“ und „schlechtem“ Deutsch ganze Essaybände füllt, sich deutschlandweit zig Lehrstühle mit dem Wandel der Schriftsprache auseinander setzen und kein Sarrazin mehr ohne den Verweis auf die Verrohung der Sitten und die Gefahr für das deutsche Bildungsbürgertum durch den Angriff von außen und unten auskommt, machen Scheler und Grebing auf 176 Seiten weiter das, was sie können: Beobachten, sortieren und den Rest einfach für sich stehen lassen. Das ist unheimlich unterhaltsam. Und gar nicht gefährlich. Und man kann es prima zweimal lesen. Einmal als Voyeur, einmal als Wissenschaftler. Nix mit „plamasche opfa“, „Lolst du noch oder roflst du schon“ kürzt die Frage nach Sinn des Sprachwandels auf Daumendicke ab: Es ist zu komisch, um darüber traurig zu sein. Aber bitte, bitte lasst sie nie raus aus diesem Youtube.

„Lolst du noch oder roflst du schon?“ erschien am 30.7. im Metronom Verlag.

Till Erdenberger

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