Eine Assoziation von Johannes Finke zu “Das Imperium” von Christian Kracht
Mein Glashaus existiert seit Jahren nur als Gerüst. Ein Skelett aus Form gebenden Trägern, durch die der Wind pfeift. Ein offenes Dach, das den Regen schon lange nicht mehr draußen hält. Ein aufgewühlter, lehmiger Boden, durchweicht und sämtlicher Festigkeit beraubt, von Steinen und Samen befreit, aseptisch. Hier wächst nichts mehr reales. Kein Getreide. Kein Obst. Keine Blumen. Kein Unkraut. Nur Ungeduld.Die Gezeiten haben mein Glashaus zu einer bloßen Idee der Vollkommenheit, der Abgeschiedenheit und des Intakten verkommen lassen, die der inneren Realität jedoch leider gerecht wird. Nichts ist mehr heil. Ich werfe mit dem Schlamm, in dem ich mich suhle. Ein Kreislauf der Eigenheit. Irgendwo losgetreten, mich erfassend, dahin treibend ohne wirkliches Ziel. Symptomatisch für uns, jene, die ohne Kriege und Probleme, weich gebettet auf Palmfasern oder Latexkern, gewickelt in feinstes Tuch, Pashmina oder Pampers, mit Goldstaub oder kosmischen Partikeln im Haar und Rosen- oder Gletscherwasser den Hals herunter rinnend, dem Leben nur noch hinterherrennen und sich aneinander aufreiben, verletzen, peinigen, den Schorf streichelnd um Erlösung betteln. Wir haben uns aus einer gelebten Gegenwart verabschiedet, sachte und behutsam, fast unbemerkt. Wir haben den Olymp erklommen. Wir haben Walhalla okkupiert. Wir haben die große Ruhmeshalle in einen Wellnesstempel und die Geister der Vergangenheit in Fabelwesen verwandelt. Wir haben die Sündenkartei jeglicher Semantik beraubt und ein unleserliches Lochsystem entwickelt, dass in seiner Abstraktion den ästhetischen Ansprüchen unserer gelebten Wirklichkeit entspricht und uns von jeglicher Schuld befreit. Wir sind unschuldig. Zumindest wollen wir das sein. Zumindest fühlen wir uns zuweilen so. Unschuldig. Kindgleich. Aber keineswegs heil. Und wir haben die große Angst, dass wir es nie sein werden. Das ist der Antrieb unserer Rastlosigkeit. Dem steten Streben nach Bewunderung. Dem Entstehen von Eitelkeiten, die auf uns lasten, als wären sie Gottgegeben und nicht aus unserem Unvermögen heraus entstanden. Und unser Unvermögen ist groß. Größer als das Ego einer ganzen Generation, größer als Gott. Halleluja.
Darum steht das Glashaus im Garten und wir nennen den Anblick romantisch. Wir zeigen den Gästen unser liebstes Stück, indem wir den Vorhang ein wenig zur Seite ziehen und sagen: Schau mal, ist das nicht schön? Wir lassen es einfach so. Wir lassen es Verwuchern. Verwachsen. Wir erkennen im Verfall und in der Verwilderung eine Ästhetik des Kaputten, die uns ein romantisches Ideal vermittelt, das zwar Sehnsüchte wecken und befriedigen, aber keine Schmerzen entstehen lassen kann. Denn Schmerzen, soviel ist sicher, fügen wir uns nur selbst zu. Wir uns. Gegenseitig und sich selbst.