Text & Fotografie Boris Guschlbauer
Die letzte Ausgabe der BLANK liegt nun schon etliche Monate zurück. Viel Wasser floss die Spree hinab. Zeit und Raum genug, um sich Gedanken zu machen, neu zu orientieren, Sinn zu suchen, sich selbst zu finden. Die Art Direktorin gründete eine kleine Familie und bekam ein süßes Kind, die Musikredakteurin suchte nach drei Tagen Pilgerweg eine Universität auf, die Moderedakteurin ging rüber in den Westen zu mehr Arbeit und Geld, der Fotograf blieb seiner Leidenschaft treu und gründete ein Studio, der Chefredakteur eröffnete eine der beliebtesten Szenebars von Berlin. Und wo blieb ich? Als Reiseredakteur wusste ich was zu tun war. Um Abstand zu gewinnen, kehrte ich Deutschland den Rücken. Und welches Land lag nicht näher auf der Hand als der indische Subkontinent. Hunderttausende Hippies folgten einst der Magie des Ostens, um ihren Geist zu erweitern und fanden meist nur billige Drogen. Ich war gespannt, was mich Jahrzehnte nach diesem Exodus erwarten würde. Hier nun die Selbstfindung in zehn Bildern.
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Delhi // Meist landet der Reisende in der indischen Hauptstadt. Der Flughafen funkelt neu, eine hochmoderne Bahn bringt dich direkt in das Zentrum der Stadt. Auf dieser Fahrt bekommt man noch kein klares Gefühl, was einen in der nächsten Zeit erwartet. Tritt man aus dem unterirdischen Bahnhof ans Tageslicht, wird man vom indischen Trubel, Leben, Verkehr, Müll, den Geräuschen und der Armut förmlich überrollt. In allem herrscht eine Abnormität, die man aus dem Westen nicht gewohnt ist. Es dauert Wochen, bis man sich an das Chaos halbwegs gewöhnt hat. Sein Ego allerdings verliert man in dieser Menschenmasse schon in den ersten Sekunden. Delhi überfordert den neuen Besucher, also Flucht Richtung Norden …
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Rishikesh // In den Ausläufern des Himalayas und am Ufer des Ganges übten sich einst die Beatles in Transzendentaler Meditation. Die Kleinstadt Rishikesh ist bunt und freundlich und hat den Anspruch Welthauptstadt des Yoga zu sein. Das ehemalige Beatles-Ashram von Maharishi Mahesh Yogi allerdings ist verfallen und wird von der Natur übernommen. Efeu krallt sich in den Stein, Schlingpflanzen überwuchern die Wege, unzählige Hanuman-Languren queren die Trampelpfade oder gammeln in den Bäumen. Mir wird bewusst, dass alles seine Zeit hat. Der Geist der Beatles ist ergraut, die Aufbruchstimmung der 68er längst eingeschlafen. Ich ziehe weiter nach Amritsar …
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Amritsar // Die Stadt Amritsar ist das spirituelle Zentrum des Sikhismus. Viele Pilger kommen in den Bundesstaat Punjab, um wenigstens einmal in ihrem Leben einen Blick auf und in den Goldenen Tempel zu werfen, das höchste Heiligtum der Sikhs. Menschen jeglicher Religion sind willkommen und erhalten ein freies Mittagsmahl. Tausende werden tagtäglich verköstigt. So bekommt man ein Tablett aus Blech und Besteck ausgehändigt und reiht sich in einer Halle auf dem Boden ein. Freiwillige laufen durch die Reihen und servieren den Linsen-Dal aus Eimern. Ein großes Gemeinschaftsgefühl entsteht beim Essen.
Trotzdem falle ich abends alleine ins Bett und reise am nächsten Tag weiter …
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Dharamsala // Dharamsala in den Bergen des Himalaja ist der offizielle Sitz der Tibetischen Exilregierung. An manchen Tagen im Jahr gibt der Dalai Lama Teachings, zu welchen hunderte Menschen aus aller Welt strömen. Leider habe ich kein Transistorradio bei mir, um der englischen Übersetzung seiner Rede zu lauschen, so dass es mir schnell langweilig wird und ich seinen Palast verlasse, um mir ein Frühstück zu gönnen. Bei einem Milchkaffee wird mir bewusst, dass ich weiterhin keinen Geistlichen in meinem Leben benötige und setze meinen Weg zum wahren Ursprung des Buddhismus fort …
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Bodhgaya // Genau hinter dieser Absperrung erlangte Siddharta Gautama in seinem 35. Lebensjahr nach langer Meditation Erleuchtung. Just in dem Moment, als ihm ein Blatt vom Bodhibaum auf den Bauch fiel, wurde er zu Buddha, dem Erleuchteten. Aus diesem Grunde ist Bodhgaya ein beliebter Pilgerort für spirituelle Menschen von überall her. Ich selbst stoße in dieser Stadt auf einen Sadhu (Heiliger Mann), der mir ein Chillum nach dem anderen stopft. Anstatt Erleuchtung finde ich, dank des gigantischen Rausches, ein ungeordnetes Chaos in mir selbst und fühle mich fast als Hippie. Schnelle Weiterreise …
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Varanasi // Varanasi am Ganges ist die heiligste Stadt Indiens und die verrückteste der Welt. Ein jeder Hindu träumt davon hier zu sterben, damit seine Überreste in aller Öffentlichkeit am Ufer verbrannt und die Asche den Fluten des Ganges übergeben werden. Mit diesem Ritual erlangt er nur hier ohne Wiedergeburten den Zustand Moksha, was dem Nirvana der Buddhisten gleicht. So sieht sich Varanasi mit einem unaufhaltsamen Strom an Alten, Kranken, Heiligen und Pilgern konfrontiert. In kürzester Zeit sehe ich so viel Leid und Tod, der in einer absoluten Normalität neben dem täglichen Leben und der Liebe existiert, so dass mich die Faszination zum Stehenbleiben zwingt …
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Varanasi (Manikarnika Ghat) // Als Ghat bezeichnet man die Stufen zum Ufer des Ganges. Der Manikarnika Ghat ist Haupt-Verbrennungsghat und einer der günstigsten Orte, um Verbrennungen beobachten zu können. Die Scheiterhaufen lodern rund um die Uhr. Lebende sitzen auf Bänken und blicken in die Flammen, als wäre es ein Grillfeuer. Man sieht Arme aus dem Feuer ragen, erkennt den Schädel des Toten, Asche fliegt durch die Luft und sammelt sich auf der Haut. Ist ein Scheiterhaufen erloschen, wird die Asche dem Ganges übergeben und bildet eine schwarze Schicht auf der Wasseroberfläche. Keine zehn Meter weiter baden Kinder im Fluss und prusten Wasser aus ihrem Mund. Daneben angelt ein Mann nach Fischen oder ein Sadhu kostet vom heiligen Gangeswasser oder ein Bauer treibt seine Ochsen zur Abkühlung in das Nass. Viele Scheiterhaufen benötigen viel Holz. Auf diesem Foto sehen wir einen Dom (ein Mitglied aus der untersten Kaste), der neues Brennholz für eine weitere Leiche trägt. Am Manikarnika Ghat türmt sich das Holz, ausreichend für alle Toten aus der ganzen Welt. Zu viel Tod verursacht ein ungutes Gefühl. Deshalb reise ich weiter. Und zwar in den Himalaja, dem Sitz der Götter, nach Nepal …
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Pokhara // Auf dem Weg durch Nepal stoße ich auf Pokhara. Hippies waren die ersten, die diese Kleinstadt am See, im Schatten des Annapurna-Massivs, für sich entdeckten. Mittlerweile hat sich Pokhara zu einem beliebten Reiseziel entwickelt, trotzdem kann man dem Trubel mit Spaziergängen in die umliegende Natur entgehen. Beim Umwandern des Sees genieße ich die Einsamkeit, erkenne unglaubliche Graustufen, entdecke ich die Augen Gottes im Himmel (siehe Foto) und spüre so etwas wie Schöpfung in der Natur. Doch allzu viel Einsamkeit kann auch Trugbilder erschaffen und so reise ich weiter in die Hauptstadt von Nepal …
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Kathmandu // Die Hauptstadt Kathmandu ist mit knapp einer Millionen Einwohner die größte Stadt Nepals. Ähnlich wie in Delhi herrscht hier ein unglaubliches Verkehrschaos, Abgase verpestet die Luft, Müll liegt herum und zu viele Menschen schieben sich durch zu enge Straßen.
Um mir einen Überblick zu verschaffen, steige ich den Hügel nach Swayambhu hinauf, um von oben auf alles und jeden zu blicken. Am Tempelkomplex angekommen, entdecke ich diesen Affen, der anscheinend dieselbe Idee gehabt hat. Was unterscheidet mich also von einem Primaten, frage ich mich. Warum überhaupt muss man sich selbst finden? Ist man nicht immer und überall nur man selbst? Um endgültige Gewissheit zu erlangen, entschließe ich noch weiter hinauf zu gelangen. Ich muss mich unbedingt über wirklich allem wissen, die Welt zu meinen Füßen und das All im Nacken. Also geht es dem Himmel entgegen …
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Über den Wolken // Flugzeug, Fensterplatz, rechte Seite. Ich blicke auf die Achttausender des Himalaja. Schon beim Start rüttelte ein Gewitter den Flieger durch, nun zwingen gigantische Luftlöcher die komplette Besatzung an die Anschnallgurte. Der Flieger verliert urplötzlich an Höhe, fängt sich dann aber wieder. Immer und immer wieder. Mit Angstschweiß auf der Stirn starre ich durch das kleine Fenster. Die massiven Berge lassen mich klein fühlen, fast wie ein Nichts, hier oben bin ich ganz armselig abhängig von der Technik. Ich kralle mich an der Armlehne fest und weiß, dass ich wie jedes Lebewesen einfach nur sterblich bin. Früher oder später werde auch ich den Löffel abgeben und immer werde ich eine Angst dabei verspüren. Warum sich deshalb zu viele Gedanken machen? Nichts tun, der Frühling kommt, das Gras wächst! Eine Erkenntnis. In genau diesem Moment liegt die Selbstfindung hinter mir. Und wenn ich auch nicht immer Signor Rossis Meinung teile, dass es zu Hause doch am schönsten ist, freue ich mich wieder auf Berlin. Also bleibe ich einfach sitzen und fliege zurück zum Anfang …
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