Theo Zwanziger, Philip Lahm, Ulli Borowka, Ansgar Brinkmann, Robert Enke und und und. Die Zahl der Großen des Fußballs, die in den vergangenen Jahren teils vielbeachtete (Auto-)Biographien vorgelegt haben, wächst scheinbar mit jedem Monat. “Nachspielzeit”, eine ganz besondere Fußballerbiographie, stammt nun aber von einem, der nur kurz an den großen Fleischtöpfen des Millionengeschäfts schnuppern durfte, der nur wenige Minuten in dem Rampenlicht stehen durfte, in dem die schon genannten scheinbar ihr halbes Leben verbrachten. Timo Heinze wechselte mit zwölf Jahren in die Jugend des großen FC Bayern, durchlief verschiedene Jugendnationalmannschaften und war später Kapitän der zweiten Mannschaft des Rekordmeisters.
Der Weg in den Profibereich, in den Fokus von Millionen und in die Reichweite der Millionen, schien vorgezeichnet. Aber dann: Verletzungen, fehlendes Selbstvertrauen und daraus resultierend eine bleierne Schwere, die direkt in eine Abwärtsspirale führte. Mit nur 24 Jahren beendete Timo Heinze seine Karriere, während einstige Mannschaftskameraden wie Thomas Müller einfach durchstarteten und da landeten, wo Heinze eigentlich sich sah. Wie schwer, wie bitter diese Situation ist, das lässt der einstige Hoffnungsträger natürlich durch scheinen und präsentiert damit einen ganz neuen Erkenntnisgewinn für alle Freunde von Sportlerbiographien. Denn während die Superstars, die es geschafft haben, das Scheitern immer nur als Möglichkeit andeuten und die Zurückgelassenen bedauern, gibt es hier Erkenntnisse aus erster Hand. Heinze berichtet über den Neid seiner einstigen Weggefährten in der Jugend, von Entbehrungen, die es gilt zu ertragen auf dem Weg nach oben und er erzählt davon, wie dieser Weg eben an der entscheidenden Stelle die falsche Abzweigung nimmt. Und es schnürt einem selbst die Beine zusammen, wenn der Fußballer beschreibt, wie der Abwärtssog aus Verletzung, übergroßer Motivation und fehlendem Selbstvertrauen einsetzt und das Ende immer näher rückt. Dabei geht es hier “nur” um das Ende einer noch nicht gestarteten Karriere und es ist sehr wohltuend, dass Heinze darauf verzichtet, allzu grundsätzliche moralische Exkurse zu unternehmen. Es geht nicht um leben und Tod, nur um Fußball. Aber es ist natürlich auch mehr, denn während manch ehemaliger Kollege nach zwei Jahren Bundesliga für den Rest seiner Tage keine Sorgen mehr hat, geht der ehemalige Juniorennationalspieler nun wieder studieren. Und Heinze ist sich nicht zu fein, genau diesen Gedanken auch zu thematisieren. Er beschreibt sein Leben und Scheitern als Fußballer, gewährt intime Einblicke in Kabine und Innenleben und schneidet sie mit Bildern und Erzählungen aus seinem “wahren” Leben gegen. Die Geschichte von einem, der es nicht geschafft hat ist so um ein Vielfaches gewinnbringender als die nächste Lahm-Geschichte mit kalkuliertem Eklat und stromlinienförmigem Möchtegernrundumschlag. Fußball ist ein Spiel von wenigen Millionären und vielen Timo Heinzes.
Till Erdenberger
Timo Heinze: “Nachspielzeit”
Rowohlt, 236 Seiten