Es gibt zwei deutsche Volkskrankheiten: 1. die permanente Sorge um Berechenbarkeit und die Angst vor dem Unerwarteten und 2. (und viel schlimmer): Das zwanghafte Mitklatschen am Takt vorbei, ohne jede Idee für Rhythmus oder Stimmung der dargebotenen Kunst. Insofern muss das, was seit dieser Woche über die Hauptstadt kommt: MAYUMANA heißt das Tanzspektakel des Jahres und besteht vor allem aus Rhythmus, Akrobatik und viel, viel Talent. Es liegt ein Hauch von Improvisation und zarter, künstlerischer Anarchie über der Inszenierung, wenn hart am Puls unserer Zeit Körper über die Bühne wirbeln und mit allem, was ihnen zur Verfügung steht, Beats und Melodien erzeugt. Ein echter Alptraum für jeden echten deutschen Klatschlegastheniker also. Für alle anderen ein begeisterndes Feuerwerk aus begnadeten Körpern, die noch begnadeteren Performern geschenkt wurden und einer Energie, die Ausschläge auf der Richterskala provoziert haben dürfte genau so wie auf den Thermometern in der ehrwürdigen Komischen Oper.
Ein roter Faden hält das getanztsungenchoreographierte Multimediafest zusammen, dabei wäre das gar nicht nötig: Alles ordnet sich irgendwie – mal mehr, mal weniger abstrakt – dem Thema “Zeit” unter. Die Produktion spielt mit Variationen klassischer Zeitabläufe, löst sie auf ,fügt ein “nacheinander” zu einem “gleichzeitig” zusammen und vertraut ansonsten ganz auf die Spiellaune der Darsteller. Die sind mehr als die Geschichte, mehr als die Produktion und mehr noch als die technischen Spielereien der natürliche Kern dieses audio-visuellen Gesamtkunstwerks: Sie spielen nicht, sie performen. Im allerbesten Sinne. Nach knapp zwei Stunden ist der Rausch zuende, das Ensemble am Ende der Kräfte und der Zuschauer überwältigt vom Trubel der Inszenierung, die so viel in sich vereint, dass es fast – aber nur fast – ein bisschen zu viel ist. Jedenfalls ist MAYUMANA anstrengend. Besonders, wenn man sich Gedanken machen möchte, was man gerade erlebt hat. Modernes Theater? Perfekt choreographiertes Tanzspektakel? Oder vielleicht eine ganz neue, hypermoderne Kunstform? Glücklich, wer sich solche Fragen einfach nicht stellt und stattdessen resümieren kann, dass er Zeuge von etwas Außergewöhnlichem geworden ist.
Und danz am Schluss, als alles vorbei war, durften dann ausnahmsweise auch mal die Falschklatscher im richtigen Rhythmus lärmen. Denn Begeisterung kennt weder Takt noch Versmaß – ekstatischer Beifall funktioniert ohne Choreographie. So produzierte der Tanzevent des Jahres nicht nur große Augen sondern auch noch eine ganze Menge Erfolgserlebnisse. Was für ein Abend. Für alle. MAYUMANA ist noch bis zum 22.07. in der Komischen Oper zu sehen. Tickets, Termine und alle Infos zur Show gibt es auf www.mayumana-show.de.