Die Kumbh Mela, das größte Pilgerfest der Welt in der indischen Stadt Allahabad, hatte mich ordentlich runter gerockt. Der nächtliche Qualm der Feuer, in die vom Plastikmüll, über Scheiße, bis hin zu Leichname alles geworfen wurde, und sich der Qualm dann wie ein Leichentuch über das gigantische Zeltlager legte, hatte nicht nur meine Lungen verätzt, nein, er hatte mich förmlich von dem Gelände der Kumbh Mela geräuchert. Flucht ins nahe Varanasi war die einzige sinnvolle Lösung gewesen.
Drei Tage lag ich in dieser heiligsten Stadt der Hindus, dort wo am Ufer des Ganges der Tod und das Leben ineinander fließen, krank im maroden Bett meiner Billigunterkunft im alten Teil der Stadt. Ich hatte mein fensterloses Zimmer nur verlassen, um Essen zu besorgen, ansonsten hielt mich die nicht vorhandene Energie wie mit eisernen Griff im Bett zurück.
Nach einer letzten fiebrigen Nacht im Schweiße meines Angesichts, schaffe ich es zum ersten Mal auf die Dachterrasse des Hotels, um mir etwas UV-Licht zu gönnen. Im Sonnenschein treffe ich auf John, meinen Zimmernachbarn aus Schottland, ein ausgemachter Erzkiffer, frühmorgens schon beginnt er den Tag mit der Inhalation seines, bis an den Rand mit Charas gestopften Chillums.
„Hey, ich kenne einen Laden, der ganz legal Bhang verkauft. Die großen Bällchen gibt es für zehn Rupien, die kleinen für fünf!“
Das ist natürlich ein Angebot, das man nicht ausschlagen kann. Zehn Rupien für einen Bhangball, ein Mix aus Blüten und Blättern der Hanfpflanze, umgerechnet etwa 13 Eurocent, das ist praktisch geschenkt. Aus diesem Grund verabreden John und ich uns für heute Abend zu einen Fußmarsch durch die Stadt zum legalen Dealer seines Vertrauens.
Lange kann ich keine Sonnenenergie tanken, denn kurz nach unserem Smalltalk beginnt es zu regnen, was nur selten zu dieser Jahreszeit in Varanasi passiert. Trotzdem treffe ich John am Abend und wir staken Störche gleich durch die engen Gassen der Altstadt, der Boden ist von der Scheiße der heiligen Kühe matschig und extrem rutschig. Wir suchen den kürzesten Weg hinunter zu den Ghats, den Stufen zum Fluss, die sich etwa vier Kilometer auf der westlichen Seite des großen Stroms erstrecken.
Normalerweise fließt der Ganges auf der Höhe von Varanasi ruhig dahin, die Strömung ist mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen, doch an diesem Abend ist alles anders. Der Wind von der Ebene peitscht über die Ghats, verweht unser langes Haar und uns beinahe von den Stufen des Manikarnika Ghats, des öffentlichen Verbrennungsghat. Der Ganges tobt, Wellen schlagen ans Ufer, fast so hoch, dass man darauf surfen könnte. Es scheint so, als würde der heilige Strom von erzürnten Göttern gepeitscht. Deshalb bin ich auch ganz froh, als John wieder den Weg in die engen Gassen der Altstadt einschlägt. Lieber mit den Badeschlappen durch Scheiße schlittern, als von den Wellen wie die Asche der Toten, die hier üblicherweise in den Strom gestreut wird, verschluckt zu werden.
Direkt neben der GPO, dem Hauptpostamt, befindet sich unser Laden. Er ist nicht größer als eine Schuhschachtel, hinter dem vergitterten Tresen stapeln sich die Bhangbällchen zu zwei großen Pyramiden. Und tatsächlich ist in Varanasi, die Stadt Shivas, der Gott, der niemals das Marihuana verschmäht, der Kauf von Bhang legal. Für zehn Rupien erstehe ich also zwei kleine Bhangbällchen, die in etwa aussehen wie Ziegenscheiße, nur etwas grünlicher. John kauft sich drei große Bällchen und beim Dealer um die Ecke noch etwas Marihuana, das wie Fish & Chips in England in Zeitungspapier gewickelt ist.
Auf dem Rückweg erreicht der Sturm seinen Zenit. Blitze schlagen wie Klitschkos Rechte aus dem Himmel, keine Sekunde später rollt der Donner wie eine Planierraupe durch die Gassen der Stadt. Regen peitscht um unsere Ohren, zum Schutz stellen wir uns unter und schlucken den ersten Bhangball – der widerliche Geschmack lässt mich schaudern. Bis die Droge anschlägt, so hoffe ich, bin ich längst zurück und gemütlich sicher im Bett meines Hotelzimmers. Aber der Regen will nicht enden und als die ersten Wellen des Rausches über meine Psyche rollen, blicke ich in jedes Gesicht der gefühlten 1,2 Millionen Einwohner der Stadt. Kalter Schweiß drückt sich mir auf die Stirn.
Während unserer kurzen Abwesenheit, haben die Hotelbesitzer die drei Meter große Shiva-Statue enthüllt, die den ganzen Tag über in die enge Gasse direkt neben den Eingang unseres Hotels errichtet worden war. Riesige Lautsprecher spucken nun indische Musik aus, so laut, dass man damit die Loveparade hätte beschallen können. Drei Einheimische beginnen sich im Dunstkreis der Statue in Trance zu tanzen und zu saufen. Eine mystische Stimmung.
Ohne Umschweife flüchte ich direkt in mein kleines Zimmer, lege mich auf die durchlegene Matratze und werfe mir das zweite Bällchen ein. Einige Minuten später überrollt mich der Rausch des Bhang…
Kakerlaken in Form von Totenköpfen huschen über meine Matratze. Die Bässe der Musik sind wuchtige Faustschläge in die Magengrube. Die grunzende Stimme des Hotelbesitzers im Foyer klingt aggressiv, ich verstehe kein Hindi, verstehe ihn nicht, verstehe mich nicht – verstehe nichts. Was mache ich hier, zu diesem Zeitpunkt, hier in diesem abgefuckten Hotel, in diesem abgefuckten Zimmer, in diesem abgefuckten Körper?
Ich gehöre nicht hierher, bin nicht für diese Stadt gemacht. Alles ist zu konträr, mein Ich läuft konträr, der Motor in mir kochend heiß, das Kühlwasser beginnt bereits zu kochen. Ein Gedanke löst den nächsten ab und das in einer Geschwindigkeit, die selbst Lichtgeschwindigkeit in den Schatten stellt.
Mit dem Holzhammer kommt die ernüchternde, dem Rausch bedingte Erkenntnis: Die Götter sind im Zorn. Sie hassen mich. Ich bin ein kleiner Scheiß-Sünder im Land der Hochheiligen. Gott Shiva, der Zerstörer, möchte mich aus seinem Heim werfen und weiß nicht genau wie. Schon auf der Kumbh Mela schickte er mir den Rauch der Feuer, um mir die Augen zu nehmen und mich blind zu machen, mir die Luft zum atmen zu nehmen, so dass ich vom Pilgerfest fliehen musste. Und nun ließ Shiva den heiligen Ganges toben, damit mich die Wellen aus der Stadt spülten. Ich, der Ungläubige, weit weg wollen mich die hinduistischen Götter, ja, weit weg.
In diesem Rausch, in diesem Moment, existieren die Götter tatsächlich, jeder einzelne von ihnen, sage und schreibe über 3 Millionen Stück, wie konnte ich jemals daran zweifeln. Laut polternd wüten sie durch meine Gehirngänge und traktieren mich mit Ängsten und Erkenntnis…
Zum Selbstschutz flüchte ich unter das Moskitonetz, dass ich am Ventilator befestigt habe. Das Netz hält die Außenwelt ab, gibt mir eine gewisse Geborgenheit im Rausch. Schlussendlich falle ich in einen unruhigen Schlaf…
Ein Glück endet jeder Rausch, die Erkenntnis jedoch bleibt bestehen. Und so packe ich am nächsten Morgen meinen Rucksack und verlasse die Stadt, deren Götter mich nicht dulden. Mein Ziel ist Bangladesch, dort ist der Islam Staatsreligion und die hinduistischen Götter ohne Macht. In diesem Land bin ich sicher vor ihrem Zorn, und Allah wird mich beschützen, denn es gibt keinen Gott außer Allah und Mohammed ist sein Prophet.
Spaziergang am Dasaswamedh Ghat in Varanasi:
Sadhus (heilige Männer) auf der Kumbh Mela in Allahabad: