Daniel Wirtz hat einen Hang zum Bombast und zur Melancholie. Vor allem aber hat er auch starke Tendenzen zum Weltschmerz, welchem man vor allem auf seinen Alben „11 Zeugen“ (2008), „Erdling“ (2009) und „Akustik Voodoo“ (2011) frönen konnte. Hinter den starken rifforientierten Klängen dieser Platten ließ sich eine Verletzlichkeit vermuten, die man verpackt in dieser musikalischen Richtung nicht häufig hört, vor allem nicht im deutschsprachigen Raum. Weder überschwänglich pathetisch, aber auch nicht frei von Klischees. Wirtz Texte zeichneten sich bisher durch ihre leicht pessimistischen Inhalte aus, zerbrochenes Liebesglück und Gesellschaftskritik – all das, womit das Leben uns oft ins Wanken bringen kann, machte sich Daniel zu eigen und fand damit Gehör bei einem stetig wachsendem Publikum. Jetzt steht sein neues Album „Auf die Plätze, fertig, los“ in den Startlöchern.
Und es keimte bei mir die Frage auf, ab wann denn eigentlich so ein verletzter und pessimistisch schmeckender Drops gelutscht ist. Veränderungen sind vielen zuwider, aber Kunst sowie Musik leben von ihrer Vielschichtigkeit und Entwicklung. Im Kern ist die Musik von Wirtz auf seinem neuen Release nämlich die gleiche. Jedoch ist „Auf die Plätze, fertig, los“ weiter entfernt von seinen bisherigen Alben als ich nach dem ersten Hördurchgang noch vermutete. War das Unplugged-Album von 2014 ein versoftetes Manifest großer Titel aus dem bisherigen Wirtz-Sortiment, so setzt das neue Album wieder auf den gewohnten Uptempo-Rock. Der Wahlfrankfurter klingt auch nach 8 Jahren des Alleingangs – mit eigener Plattenfirma „WirtzMusik“ und Vertrieb- und Merchandise-Arbeit, noch immer leichtfüssig und rockbar. Was anderes hatte ich mir nicht erhofft, aber doch war eine gewisse Veränderung nach mehrmaligen Lauschen deutlich hörbar.
Der Opener-Track „Auf die Plätze, fertig, los“ wurde schon im Vorfeld auf den Social-Media-Kanälen veröffentlicht und die Meinungen waren euphorisch bis teilweise gespalten. Textlich noch etwas zahm, jedoch akustisch passend zu dem, was man auf dem 12 Song starken Album zu hören bekommt. Riffgewaltig, laut und teilweise mit Filtern über Daniels Stimme. Das Album fängt stark an, die erste Hälfte kann man getrost als sehr „hittig“ bezeichnen, wobei ich hier auch noch eine kleine Auslese schaffen möchte. „Mantra“ ist mein persönlicher Favorit des gesamten Albums, auch wenn sich das erst später herauskristallisierte. Neben der fantastischen Hookline ist es vor allem die Zielgerade des Songs, der mir die typisch Wirtz’sche Gänsehaut verpasst. Ein wahnsinnig guter Titel! Überhaupt sind die meisten Melodien der neuen Wirtz-Songs sehr eingängig, man fängt Feuer und findet schnell seine Momente, in denen man den Anker werfen möchte und inne hält.
Auch das Tempo variiert wieder schön innerhalb einzelner Titel. Ein ruhiger Start und es bricht dann beim Refrain aus Daniel heraus, laut und voll auf die 12. In „Aus Versehen“ kommt wahrscheinlich jeder Freund zwischenmenschlicher Abrechnungen auf seine Kosten und man findet sich wieder in einer dieser schönen Parallelen vergangener Begegnungen, die die Liebhaber der Wirtz-Musik immer abfeiern. Ebenso gut appelliert Daniel in „Du fährst im Dunkeln“ gegen den menschlichen Egoismus, den Leichtsinn und den verlorenen Freund – alle wissen sofort Bescheid und ich neigte dazu, die Kopfhörer noch tiefer ins Ohr zu drücken. Daniel spricht uns aus der Seele, mahnend und direkt – ich konnte es bei einigen Textzeilen wieder am eigenen Leibe verspüren.
Doch so schwungvoll und energisch das Album auch beginnt, permanent kann Wirtz die Fahne nicht hochhalten. Vor allem lyrisch knickt der Könner in der zweiten Hälfte etwas ein. Einige Titel kratzen nur an der Oberfläche von Sonne und Mond. Songs wie „Ich weiß es nicht“ warten vergeblich auf den Aha-Effekt und auch die süße Liebeserklärung in „Wenn du willst“ klingt zwar voller Leichtigkeit, bleibt aber dennoch auf der Ersatzbank kleben. Es ist offensichtlich, dass man sich doch eher mit den düsteren Empfindungen verbindet, auch wenn ich mich da gerne gegen wehren und freisprechen möchte. Selbst wenn Daniel „Sehnsucht“ anstimmt, kann ich ihm nur marginal folgen, obwohl der Text mehr hergibt, als ich es herausfühlen kann. Beim ruhigen Ende mit „Das nächste Mal“ kommt das Album aber zu einem sehr guten Abschluss und ich glaube mit jenem Song die eingangs erwähnte Veränderung begriffen zu haben.
„Auf die Plätze, fertig, los“ zeigt ein Stück weit, dass Daniel Wirtz sich mit dem Loslassen und neuen Einflüssen auseinandersetze. Das Album wirkt auf mich etwas heller als die Vorangegangenen, mit weniger Wehklagen an die Vergangenheit. Manchmal scheint es wie eine kleine Hommage an das „gute Leben“, welches man nach der Verarbeitung leidiger Dinge wieder führen möchte. Es muss nicht immer alles tief und schmerzlich sein, es kann auch wieder besser werden. Frieden mit Dingen zu schließen bedeutet auch, einfach die Arme Richtung Sonne hochzureissen und sich in die Fluten zu werfen, ohne viel darüber zu grübeln, was morgen passiert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Songs zusammen live auf der bevorstehenden Tour ihre eigenen Qualitäten entfalten, auch wenn sie nicht alle zu den textlichen Favoriten gehören sollten. Das Talent für große musikalische Gefühlsmomente hat Wirtz noch immer inne, auch wenn es auf „Auf die Plätze, fertig, los“ noch etwas Luft nach oben gibt.
Es ist für Fans zwar überflüssig zu erwähnen, aber wer sich bis zum Album-Release am 19. Juni 2015 die Wartezeit noch rockiger gestalten möchte, der kann Daniel Wirtz jeden Dienstag dabei zusehen und zuhören, wie er in der aktuellen Staffel von „Sing meinen Song“ mit anderen Künstlern musiziert.