Deutschlands bester Bayer

Hans Söllner 2015

Hans Söllner, der bayerische Rebell, ist vieles. Rasta, Kiffer, Liedermacher, Politikerschreck. Manches gewesen, manches immer noch – alles aber immer mit Überzeugung und zu 120%. Sein starkes Rückgrat und die flinke Zunge haben ihm manchen Ärger eingebracht. Söllner singt und spricht für die Legalisierung von Marihuana und gegen die Gängelung durch die Behörden. Die schlagen in schöner Regelmäßigkeit zurück und schicken dem Musiker Überfallkommandos zu seinen Konzerten und in sein Zuhause. Alles wegen weniger Gramm Marihuana und einiger T-Shirts. Inzwischen hat Söllner 250.000 Euro für diverse Vergehen an den Freistaat zahlen dürfen. Und auch, wenn dieser inzwischen ein wenig zur Ruhe gekommen zu sein scheint – Hans Söllner ist immer noch da und alles andere als versöhnlich gestimmt.

BLANK: Herr Söllner, wie kann es passieren, dass in Bayern offensichtlich so etwas wie eine „Lex Söllner“ existiert und die Öffentlichkeit nimmt davon so wenig Notiz?
Hans Söllner: Ich glaube, dass die Leute so abgelenkt sind, dass es sie gar nicht interessiert. Die interessieren sich doch heutzutage eher für Gigabytes und W-Lan und solche Sachen. Wenn die satt sind und eines Tages mal genug haben, dann interessiert es sie wieder. Und so lange kann ich es aushalten.

BLANK: Macht einen das nicht sehr betroffen?
HS: Manchmal ist das so, aber mit zunehmendem Alter lässt das nach. Du bemerkst irgendwann, dass es nur um die Unterhaltung geht, ich bin in der Unterhaltungsbranche tätig. Es ist halt so. Nicht mehr und nicht weniger. Ich hoffe, dass es gute Unterhaltung ist.

BLANK: Das ist doch sehr bescheiden. Es geht bei Ihnen doch um wesentlich mehr.
HS: Ja, natürlich geht es mir um mehr. Aber ich kann nicht erwarten, dass es allen anderen Menschen auch so geht. Ich bin froh, dass ich mich auf diese Art und Weise mitteilen kann, weil es mir um mehr geht. Aber was ich bei den meisten Liedern empfinde, das kriegen die Menschen gar nicht mit, denn ich habe sie in bestimmten Situationen und aus bestimmten Situationen heraus geschrieben.

BLANK: Werden Sie Günther Beckstein vermissen, nun, da er sich politisch selbst gerichtet hat?
HS: Nein, ich habe da keinerlei Verlustgefühle, wenn so einer wie der Beckstein geht. Das zeigt mir nur, dass solche Leute auftauchen und wieder gehen und Leute wie ich einfach da sind, bis zum Schluss.

BLANK: Hätten Sie bei Beckstein etwas erreichen können?
HS: Ich bin überzeugt davon, dass ich den Beckstein auf einen guten Weg hätte bringen können, wenn er sich mit mir mal unterhalten hätte. Nein, eigentlich bin ich nicht davon überzeugt… Es gibt halt so Menschen wie den Beckstein. Die sind unausgeglichen, die sind dumm, die trinken zu viel. Dass sie andere Menschen verfolgen müssen, dass sie anderen Menschen Leid zufügen, dass sie andere Menschen in Unsicherheit sitzen lassen, dass sie Angst verbreiten; das alles sind für mich Zeichen von innerer Unausgeglichenheit. Wenn ich ständig mit meinem Umfeld oder mit mir einen Fight habe, dann kann ich doch keine innere Ruhe spüren, nicht in der Mitte von mir sein. Und dann sollte ich auch nicht Politiker werden oder Lehrer oder Kindergärtner. Dann sollte ich beim Bäcker Brötchen verkaufen oder draußen das Feld mit einem Spaten umgraben. Aber doch bitte nicht mit Menschen arbeiten.

BLANK: Warum tun Sie es trotzdem?
HS: Diese Leute glauben, dass man eigene Zufriedenheit dadurch erlangen kann, dass man andere Menschen dahin führt, wo man selber schon ist: in die Unzufriedenheit. Ich glaube, dass es auch ein Missverständnis gibt. Sie denken, sie tun was für uns, aber sie tun immer nur etwas gegen uns. Alles, was in den letzten 25, 30 Jahren unter dem Deckmantel der Politik und der Demokratie passiert ist, war gegen uns.

BLANK: Was meinen Sie konkret?
HS: Seit Anfang der 70er, wo ich angefangen habe, ein bisschen politisch zu denken, passierte alles, egal was, immer gegen uns. Es war nichts dafür. Es gibt kein Gesetz, das es mir erleichtert, mich
besser in Städten zurecht zu finden oder dass ich nicht gleich betteln gehen muss, wenn ich mal drei Monate nichts verdiene, dass ich nicht gleich durchs Raster falle. Es gibt keinen Mindestlohn, Frauen kriegen im selben Job immer noch weniger als Männer, Frauen sollen ihr Kind am besten schon mit 1 1/2 Jahren in die Krabbelgruppe geben, damit sie gleich wieder arbeiten und möglichst keinen Einfluss mehr auf die Kindererziehung nehmen können. Es ist nichts dazu gekommen, was mich entlasten würde. Nichts, was mir das Leben in diesem Staat, der sich in aller Welt als demokratisch und fortschrittlich preist, erleichtern würde. Es ist nichts dazu gekommen, was mir ermöglicht, mich nicht ständig behaupten zu müssen, mich ständig wehren und erklären und fragen zu müssen. Ich will selber entscheiden. Ich bin ein eigenständiges, entscheidungsfreudiges Wesen und möchte artgerecht gehalten werden. Ich muss eine eigene Meinung haben dürfen.

BLANK: Warum brennen in Deutschland keine Vorstädte wie in Frankreich?
HS: In Frankreich haben die Vorstädte da gebrannt, wo die Leute nichts haben. In Deutschland glaubt jeder, noch etwas zu haben. Wenn der Zeitpunkt kommt, dass diese Leute merken, dass sie nichts mehr haben, dass nach Hartz IV kein Horizont mehr zu sehen ist, dann brennen bei uns auch die Vorstädte. Davon bin ich fest überzeugt. Wir unterscheiden uns nicht von diesen Menschen. Wenn der Hass ins Spiel kommt, dann wird’s gefährlich. Und unsere Politiker sollten alles dafür tun, dass solche Gefühle nicht entstehen.

BLANK: So traurig und gefährlich es klingt, aber ist es aus Ihrer Sicht wünschenswert, dass noch mal so ein Klima des Protestes entsteht wie Anfang der Siebziger?
HS: Ja, sehr. Sehr. Wir brauchen einen Sturm in unserer Gesellschaft, so wie es auch einen Sturm draußen im Wald gibt, damit alte Äste abbrechen. Es ist ein blöder Vergleich, aber nimm die 68er: Dass sich die Studenten und die Alten, dass wir uns alle noch mal miteinander formieren würden, und erkennen, dass es gegen uns, gegen die Menschheit geht, das wäre wünschenswert. Auch wenn es Tote gibt, die muss es geben. Ich bin überzeugt davon, dass sich manche Dinge nicht mehr regeln lassen auf dieser Welt, ohne dass es Tote gibt. Sie müssen sehen, dass wir es ernst meinen. Und wie macht man das? Mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde? Oder indem ich eine Petition einreiche? Ich bin überzeugt, dass sie uns irgendwann so weit gebracht haben, dass es anders nicht mehr geht. Ich befinde mich jetzt in der Phase vorher. Die nächste Phase wird Blut bringen und Feuer. Dann wird keiner mehr sicher sein. Aber diese Phase jetzt, sie lächerlich zu machen, sie zu verscheißern, ihnen zu zeigen, dass sie Bettnässer sind, Arschlöcher, das ist meine Phase. Dafür bin ich vor 20.000 Jahren irgendwo in diesem Universum geplant worden. Ich weiß nicht, warum ich auf der Welt bin, aber ich bin der Überzeugung, dass Mitte der Fünfziger Jahre, in denen ich geboren bin, irgendjemand gesagt hat, der muss jetzt da runter. Wir brauchen den in den 80er und 90er Jahren. Wenn der später auf die Welt kommt, dann ist er 2020 erst 20 oder 30, dann ist es zu spät.

BLANK: Haben Sie Angst, irgendwann keine Reibung mehr zu erzeugen?
HS: Ich will gar keine Reibung. Alles, was ich mache, ist Selbsttherapie. Es lief eine Zeit lang unter dem Deckmantel „Ich mache es für euch“ dann wieder unter „Ich mache es, um etwas zu verändern“. Im Grunde genommen habe ich immer übersehen, dass ich mich selbst therapiere. Ich habe lediglich über das, was ich mache, mich selbst auf dem Weg gehalten. Jeder von uns geht auf einem Grat, wo es rechts und links runter geht. Du kannst drogenabhängig werden, du kannst krank werden, du verlierst deine Traumfrau und bist übermorgen ein Penner und wir treffen uns, wie du in Freiburg die Mülltonnen durchsuchen musst. Ich versuche den ganzen Tag, in meiner Mitte zu bleiben.

BLANK: Wie sähe es aus, Sie mal nicht in der Waage zu erleben?
HS: Ich war ja teilweise schon nicht in der Waage und das hat mich viel Geld gekostet, ganz viele Polizeieinsätze und viele Nerven. Ich glaube, dass sie viel mehr Probleme haben, wenn ich in meiner Mitte bin und ich ihnen eigentlich nichts tue. Sie können mich aufhalten, weil meine Scheibe falsch getönt ist oder mein Nummernschild schief hängt, weißt du, so Kinderkram. Damit es halt nicht aufhört. Aber sie können nicht meine Texte verbieten, sie können mich nicht daran hindern, mich selbst zu heilen. Ich sage was in meiner Sprache, was in meinem Land verstanden wird und in Algerien oder Australien muss es halt ein anderer sagen, weil sie da eine andere Sprache sprechen. Ich bin nur für daheim zuständig.
BLANK: Es gibt eine Dokumentation über Sie, da wirken Sie in einigen Szenen regelrecht niedergeschlagen.
HS: Als diese DVD entstanden ist, war ich nicht besonders gut drauf. Das sieht man auch, wenn man genau hinschaut. Ich habe eine totale Paranoia geschoben. Ich war beinahe so weit, dass ich auf die falsche Seite gekommen wäre. Ich bin heute davon überzeugt, dass wenn ich in dieser Zeit, in der ich so verfolgt worden bin, Mitte der 90er, keine Familie gehabt, ich Leute umgebracht hätte. Das ist irgendwann einmal der letzte Ausweg für irgendeine Gruppierung, die so voller Hass ist, weil ihnen jede Initiative verboten wurde, rausgeprügelt wurde über Strafen und Einzelhaft, über Verschleppung. Wenn du diesen Staat irgendwann mal so hasst, dass selbst der kleinste Bahnschaffner in Uniform so schwer an diesem Unglück beteiligt ist wie es für Baader und Meinhof damals Buback oder Schleyer waren, dann bist du nicht mehr in deiner Mitte. Und ich war beinahe so weit. Ich bin froh, dass dann meine Kinder kamen und ich jetzt in einer Situation bin, wo ich so was einfach hinnehmen kann.

BLANK: Was wollen Sie denn bei Ihren Zuhöhrern erreichen?
HS: Ich kann sie nicht schlauer machen. Ich kann nur heute 20 Lieder vorspielen und vielleicht kannst du eins oder zwei davon gebrauchen. Und wenn du den Rest der Zeit nicht störst und vielleicht einfach ein bisschen tanzt, dann sage ich mir „Das ist Respekt für mich“ und mehr will ich eigentlich gar nicht mehr. Der eine nimmt sich das und der andere das.

BLANK: 99 von 100 Besuchern werden sich in Ihrem Konzert furchtbar nach Revolution fühlen und morgen trotzdem wieder in ihren alten Trott verfallen, als wäre nichts gewesen.
HS: Aber ich verspreche dir, dass sie, wenn sie bei diesem Konzert das richtige Gefühl gehabt haben, sich in bestimmten Situationen daran erinnern werden. Es wird ihnen gehen wie mir. Sie werden sich immer öfter erinnern, sie werden immer öfter in bestimmte Situationen kommen, wo sie sagen „Ja, Recht hat der Söllner“. Stell dir vor, du kommst Samstag vom Einkaufen mit deiner Frau und den Kindern hinten drin, in eine Polizeikontrolle. Weil du ein bestimmtes Shirt an hast oder vielleicht auch noch die CD vom Söllner auf dem Beifahrersitz, egal. Und dann ziehen sie das ganze Programm bei dir durch. Es ist so: Wenn du etwas impfst, braucht es seine Zeit, bis der Körper die Antikörper selbst produziert. Wenn etwas zu schnell geht, haben wir ein Problem. Wenn heute 1.000 losgehen und morgen sind es 3.000 und übermorgen 8.000, das kann nicht funktionieren. Die Leute müssen langsam lernen, keine Angst mehr zu haben. Man kann nicht einfach losgehen und einem Polizisten eine überziehen, man muss es eben anders zeigen.

BLANK: Sie arbeiten viel mit Symbolen. Nehmen Sie die Warnblinkanlagen. Blinkende Warnblinkanlagen werden in dieser Welt nicht viel ändern können.
HS: Da wäre ich mir nicht so sicher. Was ich weiß ist, dass Gewalt nichts ändert. Außer, dass Gewalt wieder Gewalt erzeugt. Und das gleiche Prinzip funktioniert auf der anderen Seite auch. Wenn du albern bist oder verliebt und mit einem Lächeln durch die Gegend gehst, dann kannst du die anderen dazu motivieren, das gleiche zu wollen. Die sehen, dem geht’s gut. Das wollen die auch gern. Niemand sagt „Den verfolgt die Polizei, den schlagen sie mit einem Gummiknüppel, das möchte ich auch gerne.“ Eigentlich tun viele das Gegenteil von dem, was sie gerne tun würden. Sie gehen raus auf die Straße und lassen sich da von der Polizei mit dem Gummiknüppel niederschlagen, dabei wollen sie eigentlich lieber ihre Ruhe und von jemandem geliebt werden. Und da denke ich mir, es geht gar nicht so sehr darum, ob ich etwas erreiche oder nicht. Es geht einfach darum, dass ich das alles für mich mache. Das Schöne ist, dass es ganz vielen Leuten geht, wie mir. Sonst würde es nicht funktionieren. Und wenn es dir über einen längeren Zeitraum so geht, brichst du entweder unspektakulär zusammen oder aber du wehrst dich. Und manche verfahren sich beim Wehren, das ist einfach so. Manche werden gewalttätig, manche wehren sich an der falschen Stelle oder zur falschen Zeit.
BLANK: Haben Sie schon mal das Gefühl gehabt, von Ihren Anhängern als Stellvertreter in den Krieg geschickt worden zu sein?
HS: Mich hat niemand geschickt und ich habe mich nie schicken lassen. Klar war ich manchmal enttäuscht. Ich redete mit so vielen Leuten und so wenige haben sich getraut, was zu tun. Aber ich habe das verstanden, denn sie sind alle allein. Und wir haben es nicht geschafft, zusammen etwas zu tun. Jeder muss für sich alleine irgendwo beginnen. Gestern war „Tag der Armut“ und heute verschenkt die Merkel 400 Milliarden an die Banken. Da muss ich gar nicht viel sagen draußen. Da sage ich ein paar Sätze und schüttel meine Arme, dann reicht das. Verstehst du? Ich bin nicht unglücklich oder enttäuscht, ganz im Gegenteil. Ich bin saufroh, dass ich irgendwann gemerkt habe, dass ich nicht möchte, dass irgendjemand auf einen Weg kommt, sondern dass ich auf meinem Weg bleibe.

BLANK: Sieht dieser Weg irgendwann auch möglicherweise ein völlig unpolitisches Album vor?
HS: Alles ist Politik. „Politik“ ist das Wort, das über allem steht, sie kommt gleich nach dem Universum. Es ist Politik, dass wir beide heute hier sitzen, eine gesunde Politik natürlich. Für mich bedeutet Politik, dass wir versuchen, gemeinsam zu leben. Dieses Zusammenleben organisiert jemand für uns, das ist die Aufgabe der Politiker. Du kannst das ja nicht, weil du Kinder hast und arbeiten gehen musst. Du gibst einen Teil deines Geldes ab und dafür regelt jemand, dass du zur Arbeit kommst, dass du einen Kühlschrank hast, etwas zum Anziehen bekommst und einkaufen gehen kannst. So kann man es natürlich nicht jedem Recht machen und deshalb braucht es ein respektvolles Zusammenleben und jeder muss erkennen, dass er dafür auch mal in den sauren Apfel beißen muss. Das ist Demokratie. Und genau das ist die Arbeit der Politiker. Dafür wählt man sie und für sonst nichts. Und wenn ich merke, dass sie ihre Macht dazu ausnutzen, andere Völker auszuhungern, andere Länder zu überfallen und in meinem Land immer noch Waffen zu bauen, obwohl woanders 60% der Kinder auf einem Bein rumlaufen müssen, dann machen sie schlechte Politik. Das ist keine respektvolle Art und Weise, mit mir und meinen Mitbürgern auf dieser Welt zusammen zu leben. Und sie sind definitiv dafür verantwortlich. Ich baue keine Waffen. Sie bauen Waffen von meinem Geld. Und dafür habe ich ihnen dieses Geld nicht gegeben.

BLANK: Und dennoch gibt es so wenig Widerstand.
HS: Weil die Leute abgelenkt sind. Weil sie konsumieren können, weil sie Kinder haben. Weil sie nichts damit zu tun haben, sie sich nicht ständig in die Nesseln setzen und Prügel beziehen wollen. Das ist aber nur noch für den Moment so. Die kurze Zeit, bevor ein Regime kippt, ist die schlimmste. Sie müssen jetzt ihren Apparat so aufblasen und uns ihre Stärke beweisen. Aber dann fällt alles zusammen. Und von einem anderen Tag auf den anderen werden die Leute aufstehen und andere Menschen umbringen.

BLANK: Was sollte jeder Mensch tun, um die Gesellschaft ein bisschen besser zu machen?
HS: Das ist eine schwere Frage, denn das kann man so pauschal gar nicht sagen. Wir sollten einfach aufhören, eine Junkie-Gesellschaft zu sein, nach irgendwas süchtig zu sein. Egal, ob es Markenjeans sind, teure Uhren oder was auch immer. Wir müssen aufhören, Junkies zu sein. Alles, was uns süchtig macht, müssen wir überwinden. Wenn du den Drang nicht mehr hast, etwas haben zu oder etwas sein müssen, kannst du dich um das Wesentliche kümmern.

BLANK: Zum Abschluss: Im letzten Jahr feierte Ihr Album „Hey Staat“ seinen 25. Geburtstag. Freuen Sie sich oder ärgern Sie sich, dass Sie inzwischen weit über zwei Dekaden gesellschaftlich relevant sind?
HS: Weißt du… wenn sich 1989 mit der Platte alles zum Guten gewendet hätte, hätte ich überhaupt kein Problem damit, heute Schlager zu machen, denn ich singe einfach gern. Einerseits freue ich mich, dass ein Album 20 Jahre lang aktuell ist, aber eigentlich gibt es nichts zu freuen, weil sich nichts geändert hat. Es gibt definitiv nichts zu feiern. Deshalb feiere ich auch keine Jubiläen, denn eigentlich ist es ja traurig, dass ich seit 25 Jahren die selben Lieder spiele und immer wieder über die selben Themen rede und sich offensichtlich nichts geändert hat. Und ich werde noch mal 25 Jahre drüber reden und es wird sich noch einmal nichts ändern. Außer, dass ich glaube, dass ich keine 25 Jahre mehr werde singen können, weil wir Krieg haben werden auf unseren Straßen. Wir werden Angst haben vor unseren Nachbarn und werden nicht mehr wissen, wer unser Freund ist und wer unser Feind. Wir sollten uns dann hüten, mit wem wir über was sprechen, damit nachts nicht ein VW-Bus vor unserem Haus hält, wo bewaffnete Typen raus springen, die uns mitnehmen. So, wie es in Peru, China oder Tibet oder sonst wo auf der Welt schon passiert. Es ist also mein grundsätzliches Versagen, dass ich es nicht geschafft habe, mit meinen Anstrengungen die Welt zu verändern. Ich habe es geschafft, Leute zum Denken zu bringen, verstehst du? Aber das ist nichts zum Feiern. Ich feiere ja auch nicht 70 Jahre Holocaust oder ähnliches. Feiern tut man nur Siege und ich habe keinen Sieg errungen. Es geht mir auch mehr um den Weg, den Kampf an sich. Nicht so sehr um den Sieg. Es geht mir darum, dass ich mitteilen kann, dass ich für diese Welt eine bestimmte Art von Traurigkeit empfinde. Oder auch meine Freude und Schadenfreude. Alles, verstehst du? Ich bin ein Mensch und nicht erhaben. Ich stehe nur über vielen Dingen. Ich freue mich, dass der Beckstein weg ist. Aber ich freue mich nicht, dass der Haider tot ist. Ich kann mich nicht über den Tod eines Menschen freuen. Wenn ich denke, dass jemand ein schlechter Mensch ist, dann tue ich zu Lebzeiten was gegen ihn auf meine Art und Weise. Ich sage zu ihm „Du dumme Sau“ oder „Fick dich ins Knie“, aber ich erschieße ihn nicht. In dieser Zeit war ich schon mal, aber ich bin Gott sei Dank durch meine familiären Verhältnisse daran gehindert worden, mir zu wünschen, dass jemand tot ist. Ein Staatsanwalt oder ein Polizist kann dich so weit bringen, dass du an Selbstmord denkst, wenn sie Lust haben. Aber ich glaube, dass ich das eben auch kann und ich denke, dass ich es nicht tun sollte. Ich bin nicht Stefan Raab, der Leute so durch den Dreck zieht, dass sie nicht mehr auf die Arbeit gehen können. Das ist ein 20 Sekunden-Junkie, der für einen blöden Spruch vor Gericht geht und sagt „Scheißegal, zahlt ja eh der Sender“. Stefan Raab ist ein schlechter Mensch, aber ich würde nie auf die Idee kommen zu sagen, der Typ muss weg oder gehört erschossen oder soll einen Autounfall haben. Man sollte ihm die Sendung wegnehmen und er sollte wieder Wurst verkaufen. Er benimmt sich in dieser Welt wie ein Metzger, er geht über Leichen. Man sollte nicht lachen, wenn irgendjemand etwas nicht erreicht. Sonst bist du einer von denen. Und ich will keiner von denen werden. Ich möchte nichts feiern. Ich möchte nur, dass es unspektakulär zu Ende geht.

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